Hochgefickt
Auftritt beeindruckte, nicht ohne Stolz. Er strahlte mich an. »Würdest du mal mit mir essen gehen? Ich will dich unbedingt besser kennenlernen, ohne den ganzen Rummel hier.« Manchmal läuft es einfach runder, als man zu hoffen gewagt hat, und mit perfektem Timing ließ der DJ gerade Hot Chocolate singen: »I believe in miracles, where are you from, you sexy thing«. Aber bei allem Hurra, das ich in dem Moment nur schwer im Zaum halten konnte, musste das »where are you from« geklärt werden, denn außer dass er toll tanzen konnte, sehr fit war und gerne mit mir essen gehen wollte, wusste ich nichts von ihm. Es wurde Zeit, mir ein paar Informationen zu verschaffen. Ich lächelte ihn an.
»Sehr gerne, Ralf, aber ich wohne nicht in Berlin.« – »Ich auch nicht«, sagte er, »ich lebe zur Zeit im Ausland. Wo wohnst du denn?« – »Ich studiere in Köln«, gab ich brav Antwort, versäumte es aber nicht, interessiert bei ihm nachzuhaken: »Und was machst du im Ausland?« – »Wenn’s gut läuft: Tore.« Mir fiel es wie Schuppen von den Augen – klar, ein Fußballer, da hätte ich auch selbst drauf kommen können, deswegen war der auch so fit! Allerdings muss man zu meiner Ehrenrettung sagen, dass er sich wirklich gut getarnt hatte: kein Schnäuzer, keine Dauerwelle, kein Vokuhila-Schnitt, keine blondierten Strähnchen, keine Goldkettchen, keine Turnschuhe, und trotz körperlicher Betätigung kein Gerotze auf den Boden. Wie soll man denn da auf Fußballer kommen?
»Ich bin aber Weihnachten bis Neujahr in Deutschland, dann könnten wir uns ja vielleicht zwischen den Jahren in Köln treffen!«, schlug er vor. »Ausgerechnet dann bin ich im Ausland«, sagte ich ehrlich zerknirscht. »Wo denn?«, blieb er zu meiner großen Freude hartnäckig, und dementsprechend kooperativ gab ich alle Details preis: »In Österreich, bis zum 5. Januar bin ich im Tannheimer Tal Skilaufen …« – »Das kenn ich!«, rief er euphorisch, »ich war als Kind oft in Oberjoch!« Oberjoch war das Nachbardorf auf der deutschen Seite, doch bevor auch ich meine Begeisterung über diesen Zufall artikulieren konnte, redete er schon aufgeregt weiter. »Kennst du im Tannheimer Roth Flüh das Loch Ness ?« – »Natürlich!« Das Loch Ness war damals das feinste Restaurant der Region, und zu Renates Geburtstag am 28. Dezember hatten wir dort jedes Jahr einen Tisch.
Ralf strahlte mich an. »Dann bestell ich uns da einfach mal einen Tisch für den 2. Januar um 20 Uhr, ich muss nämlich am 3. sowieso wieder in der Schweiz sein, da liegt der kleine Schlenker für mich doch hervorragend auf dem Weg!«
Ich war total von den Socken. Dieser gut aussehende Fußball-Ralf wollte tatsächlich extra in meinem Urlaubsort vorbeikommen, um mich in den romantisch verschneiten Bergen in das feisteste Lokal am Platz auszuführen?! Ich fühlte mich nicht nur geschmeichelt, ich schwebte passend zu meinem Outfit auf Wolke 7 und machte daher keinen Hehl daraus, wie sehr ich mich über seinen Vorschlag freute.
»Das ist ja eine Superidee, sehr gerne!«, strahlte ich mit aller Leuchtkraft zurück.
»Hallo Herr Szibuda, können wir kurz noch ein Foto machen?«, schob sich eine angetrunkene Gestalt, dessen speckige Klamotten ›Reporter‹ schrien, seitlich an Ralf heran. »Ich unterhalte mich gerade, das ist äußerst unhöflich, wie Sie sich verhalten!«, sagte Ralf freundlich, aber bestimmt, und an mich gewandt wesentlich freundlicher: »Entschuldige bitte, Lina, aber ich muss gleich sowieso weg von hier …«
»Kein Problem«, lächelte ich entspannt, »wir kriegen uns ja am 2. ganz in Ruhe!«
»Dann wünsch ich dir bis dahin schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!«, sagte er ebenfalls lächelnd. »Dir auch!« Ich blickte ihm noch einmal tief in die Augen, warf ihm im Gehen ein fröhliches Kusshändchen zu und beschloss, den Abend nach dieser wunderbaren Begegnung zu beenden und in die Pension zu fahren, wo ich mich für die Dauer meines Berlin-Besuchs eingemietet hatte. Schließlich heißt es, man soll gehen, wenn es am schönsten ist, und schöner als in dem Moment hätte es gar nicht sein können.
6
Der erste Vertrag
(Januar 1994)
Die folgenden zwei Wochen bis zum Beginn des Weihnachtsurlaubs plätscherten ruhig dahin. Ich kaufte Weihnachtsgeschenke, besuchte sogar ein paar Vorlesungen und versuchte parallel dazu, noch ein paar Dinge über Ralf Szibuda herauszubekommen.
Zu einer Zeit, in der man anstehende Dates noch nicht einfach
Weitere Kostenlose Bücher