Hochgefickt
ist, dass man auf seiner Seite steht.
2. Verständnisvoll Detailfragen stellen, um Interesse zu signalisieren und sich einen zuverlässigen Gesamteindruck zu verschaffen.
3. Neue, positive Perspektiven der Situation gnadenlos aufzeigen und so einen Weg aus dem Jammertal planieren.
Phase 1 hatte ich schon beim Eintreten erledigt, und nachdem Ralf wieder Herr seiner Atmung war, gab er mir in Phase 2 Auskunft über die Details. Ich ließ mir geduldig seinen kompletten Horror schildern, reichte ihm zwischendurch Taschentücher und nickte verständnisvoll. Als er jedoch die Jammerschleife zum vierten Mal durchlaufen wollte, beschloss ich, rigoros Phase 3 einzuläuten.
»Kennst du die ›Unglück oder Segen‹-Geschichte?« Er schüttelte irritiert den Kopf.
»O.K., pass auf: Ein alter Bauer hat nur ein Pferd, und das läuft ihm eines Tages davon. Das ganze Dorf sagt: ›Oh, du armer Mann, so ein Unglück!‹, aber er sagt: ›Unglück oder Segen, das werden wir noch sehen!‹ Am nächsten Tag kommt das Pferd zurück und bringt noch ein Wildpferd mit, und alle sagen: ›Hast du ein Glück!‹, und er sagt wieder: ›Unglück oder Segen, das werden wir noch sehen!‹ Der einzige Sohn des Bauern will nun das Wildpferd einreiten, stürzt und bricht sich das Bein, alle wieder: ›So ein Unglück!‹, er wieder: ›Unglück oder Segen, das werden wir noch sehen.‹ Am nächsten Tag kommen die Soldaten des Königs und ziehen alle jungen Männer des Dorfes zum Krieg ein, nur den Sohn des Bauern mit seinem gebrochenen Bein nicht …«
Er sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Ich weiß beim besten Willen nicht, was an meiner Situation Segen sein könnte!« Er klang beinahe wütend. Schien so, als hätte er kein Interesse an Phase 3, aber das weckte erst recht meinen Ehrgeiz.
»Nun,« setzte ich an, »du bist der aufstrebende Star der Nationalelf, die Leute lieben dich! Dass jetzt ausgerechnet dieser neue Liebling ausfällt, und zwar ohne eigenes Verschulden und auch noch beim wichtigsten Turnier überhaupt – das ist doch beinahe wie bei einer griechischen Tragödie! Diesen tragischen Helden musst du nur angemessen bedienen!«
Die Wut wich aus seinem Blick, und ich baute das Szenario aus.
»Sieh mal, wahrscheinlich blamiert sich die Nationalelf in den Vereinigten Staaten sowieso ziemlich übel und fliegt früh raus, und warum? Natürlich nur, weil du wegen Zür’cher Geschnetzeltem im Knie nicht mitkicken kannst! Aber stattdessen könntest du das Beste aus deiner Situation machen …«
»Und was soll das bitteschön sein?«
»Naja, du könntest vielleicht irgendwo als Gastkommentator arbeiten, als Insider-Experte oder so …«
»Oh ja, bestimmt, ganz tolle Idee!«, regte er sich auf, »Da wär’ ich ja ein super Experte: Verletzt ausgefallen, bevor ich mich bei einem großen internationalen Turnier beweisen kann, dafür bekannt durch meine Erfolge in der Schweizer Liga und durch meine ›Freundin‹, pah! Ist dir eventuell schon mal aufgefallen, dass die Experten, die für gewöhnlich solche Jobs machen, meistens sogar Titel gewonnen haben?«
Seine Augen funkelten erbost, und ich musste zugeben, dass dieser Einstiegsvorschlag nicht wirklich durchdacht war. Also nahm ich erneut Anlauf, denn so leicht wollte ich mich seiner destruktiven Grundstimmung nicht beugen.
»Das heißt, du musst dich erst mal um einen erfolgreichen Wiedereinstieg in die Welt des Fußballs kümmern, korrekt?«
Er verdrehte genervt die Augen.
»Ja, richtig, aber wie gesagt dauert das locker ein halbes Jahr … Und leider läuft ausgerechnet in dieser Zeit der Vertrag bei den Grasshoppers aus. Und ich weiß nicht, ob ich es erwähnt hab, aber als Invalide kann ich auch eine Rückkehr in die Bundesliga vergessen.«
»Klar, wenn du nicht mit dem Gejammer aufhörst, auf jeden Fall!«, erwiderte ich genauso genervt, um danach vehement meinen Kurs weiter zu verfolgen: »Was bist du denn für ein Sports mann? Du kannst dich an deinem Unglück weiden, oder du kannst dagegen ankämpfen – was meinst du, wie viel zusätzliche Sympathie dir das bringen würde! Statt hier in Selbstmitleid zu zerfließen, solltest du dich lieber darum kümmern, dass irgendjemand deine Schinderei in der Reha minutiös mit der Kamera dokumentiert! Und was ist mit deinem alten Trainer?«
Er guckte irritiert. »Mit welchem Trainer?«
»Du hast doch erzählt, dass der Trainer, der dich 1990 nach Zürich geholt hat, heute wieder irgendeinen
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