Hochgefickt
kleinere Storys, wie ich den armen Ralf in der Reha aufmunterte, aber ansonsten nutzte ich die Zeit seiner Rekonvaleszenz dazu, weiter an meiner beruflichen Zukunft zu arbeiten: Zur Freude meiner Eltern erwarb ich brav ein paar Scheine an der Uni, zu Ralfs Freude nahm ich weiterhin meine Gesangs- und Schauspielstunden, und zu meiner Freude besuchte ich auf Ralfs Geheiß die ein oder andere Medienparty. Um »Kontakte zu knüpfen und zu pflegen«, wie er es nannte. Partyfotos wären seiner Außenwirkung – als diszipliniert an seiner Genesung arbeitender Sportler – nicht unbedingt zuträglich gewesen, aber er wollte trotzdem die Fühler in Richtung Medien und Werbung ausstrecken.
Den Gefallen tat ich ihm gerne und ging an seiner Stelle zu diesen Partys. Ich genoss die Position sehr, denn so konnte ich wieder meine Lieblingsrolle bedienen: Appetitlich zurechtgemacht flirten und Begehrlichkeiten wecken, meinen Marktwert nach oben schrauben, mich parallel dazu aber immer in die Rolle der monogamen Spielerfreundin flüchten. Alles in allem waren all diese Partys zwar unterhaltsam, aber bei Tageslicht betrachtet vergeudete Zeit.
Wirklich lohnend war im Nachhinein nur eine einzige Veranstaltung: die praktischerweise in Köln stattfindende 10-Jahres-Jubiläums-Feier eines großen deutschen Privatsenders unter dem Motto »Komm, feier mit!«. Da ich den Aufstieg dieses Senders nun wirklich von Anfang an in Renates Salon verfolgt hatte, fand ich es durchaus angemessen, dieser Aufforderung nachzukommen. Auch diverse andere Stars meiner Kindheit, deren Visagen diese Anstalt mittlerweile für teures Geld als »unsere Sendergesichter« bezeichnen durfte, schlürften auf dieser Party ihre Cocktails. Als ich gerade den beiden mir zuprostenden Protagonisten der legendären Supernasen-Filme zuzwinkerte, sprach mich eine andere Supernase mal wieder von der Seite an: Tom Kosly.
»Na, hat Luder-Lina bei ihren Besuchen in der Rehaklinik ihr Faible für Tattergreise entdeckt?«, deutete er Richtung Supernasen. Ich sog ungerührt weitere zwei bis drei Male an meinem Strohhalm, bevor ich das Glas auf dem Bastschirm-Stehtisch absetzte.
»Wenn du im Allgemeinen ein bisschen mehr Respekt vor Legenden hättest, würde die Nationalelf jetzt bestimmt mit dir statt mit den Village People singen!«
Seinem Gesichtsausdruck nach war er überrascht, wie gut ich informiert war. Außerdem schien ihn die Abfuhr des DFB wirklich geärgert zu haben, denn er zog parallel zu einer Fliegen verscheuchenden Handbewegung nervös die Nase hoch und plusterte sich nach einem kurzen Moment des Sammelns wieder auf.
»Ach, hör mir auf mit der Nationalelf! Die Spieler sind vom Gesang her ja eh Vollnieten – ich hab das jetzt einfach meinen Bruder einsingen lassen! Das wird zum WM-Start nächste Woche in den Charts nach oben steigen, wart mal ab …«
»Genug Werbung wirst du dafür ja sicherlich machen können«, stimmte ich zu.
»Apropos: Warum warst du eigentlich noch nicht in meiner Show?«, fragte er plötzlich mit blitzenden Augen. »Du hast unsere Wette doch gewonnen – wolltest du dich nicht bei meiner Redaktion melden?«
»Ich musste meinem verletzten Freund beistehen, hast du vielleicht in der Zeitung gelesen – da hatte ich für solchen Kram echt keine Zeit, sorry!«, erwiderte ich überheblicher, als es langfristig klug gewesen wäre. Deshalb schob ich versöhnlich hinterher: »Aber wenn es Ralf wieder gut geht, komme ich sehr gerne in deine Sendung!«, und lächelte so freundlich, wie ich konnte. »Bis dahin wünsche ich dir und deinem Bruder ganz viel Erfolg – wie heißt der Song noch mal? ›Zwanzig Jahre später‹?«
»Nee«, schüttelte er den Kopf, »das war nur der ursprüngliche Titel. Jetzt ist das direkt ’ne Mitgrölhymne ohne Umwege. Falls du aber …«
Bevor Tom seinen Satz zu Ende bringen konnte, stürmte eine Gestalt auf ihn zu und umarmte ihn ungeachtet unserer Gesprächssituation stürmisch. Unter lauten »Der Kosly, na, das ist ja schön!«-Rufen gaffte mir der Neuankömmling ungeniert in den Ausschnitt. Tom stellte mir das hyperaktive Dickerchen im Business-Outfit als Assistent eines Möbelhausketten-Bosses vor, für dessen Firma er letztes Jahr eine Werbekampagne konzipiert hatte.
»Ist Ihr Chef auch hier?«, fragte ich, und als der schmierige Geselle das verneinte, klinkte ich mich unter einem Vorwand zügig aus dieser Konstellation aus. Solche Assistenten der Chefs kann man immer direkt vergessen, nur die ganz
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