Hochgefickt
Quartal 1994)
Ralf und ich hatten uns für die klassische Variante entschieden: Wir ließen uns andauernd gemeinsam von irgendwelchen Zeitungsfuzzis »abschießen«, parallel dazu behaupteten wir aber mindestens sechs Wochen lang, wir seien »nur gute Freunde«. So entstand nicht nur der Eindruck einer wirklich ernsthaften Beziehung, uns erschien das in Sachen Aufmerksamkeit und auch Profit ebenfalls sehr vielversprechend. Denn schließlich planten wir, durch kontinuierliche Leugnerei die Neugierde der Öffentlichkeit und den Wettlauf der Reporter so weit anzustacheln, dass wir für das erste Interview als Paar tatsächlich schon Geld kassieren könnten. Diese Idee war auf Ralfs Mist gewachsen und bestärkte mich sehr in dem Gefühl, dass Ralf tatsächlich ein noch viel durchtriebeneres Luder war als ich – »ökonomisch gesehen«.
Der Blick auf die Wirtschaftlichkeit einer Angelegenheit schien sein Steckenpferd zu sein, und somit wunderte ich mich nicht, als er bei unserem nächsten Treffen erzählte, dass er »als Hobby« an der FernUni gerade sein Diplom als BWLer gemacht hatte. Dieses Treffen fand bereits eine Woche nach unserem Vertragsabschluss statt, diesmal in einem Promilokal in Köln.
Solche Promilokale leben ja nur in Ausnahmefällen von ihrem guten Essen, sondern meist vom Sehen und Gesehen werden: Die Hoffnung, dort gemeinsam mit der Prominenz zu speisen, lässt wohlhabende Mittelständler oder neureiche Fatzkes gerne mal überteuerte Preise für mittelmäßige Gerichte bezahlen. Hauptsache, man gehört dazu. Die Wirte schüren dieses Phänomen natürlich nach Kräften, sowohl durch die obligatorischen Promifotos an den Wänden als auch durch Standleitungen zu allen Klatschredaktionen der Stadt. Erstens muss ja irgendwer die Bilder machen, auf denen der Wirt jovial grinsend irgendwelche Stars umarmt, und zweitens ist eine regelmäßige Erwähnung in den Klatschzeitungen die beste Werbung, die man sich als Gastronom wünschen kann. Es gibt sogar Lokale, in denen du als Promi keinen Cent für dein Filetsteak bezahlen musst, solange du dich bereit erklärst, dafür die Promospielchen des Wirtes mitzumachen.
Das alles hatte mir Ralf erklärt und mich aufgefordert, mir deswegen ruhig was Teures von der Karte auszusuchen. Für lau essen und dazu auch noch die ganze Presse an den Tisch geliefert zu bekommen, war für ihn wieder mal eine typische Win-win-Situation. Mit seinem Pragmatismus konnte ich ebenso gut umgehen wie mit der Tatsache, als aufstrebendes Landei zu später Stunde im Promilokal der großen Stadt gemeinsam mit Ralf fotogen und aufreizend zur dargebotenen Live-Musik auf dem Tisch zu tanzen.
Wir wurden von sieben verschiedenen Pressefotografen abgelichtet und schafften es innerhalb der nächsten Tage in sechzehn verschiedene Druckerzeugnisse. Das ließ sich so genau sagen, weil in Ralfs Auftrag eine Agentur jedes europäische Presseerzeugnis nach uns durchsuchte und alle Veröffentlichungen sammelte – und diese Agentur bekam im Laufe der nächsten Wochen eine Menge zu tun, denn der Abend in Köln war nur der Auftakt zu einer Reihe ähnlicher Inszenierungen bei Diskobesuchen, Boxkämpfen, Galas und diversen Promipartys. Das Interesse an uns als potentiellem Paar war von Anfang an sehr rege, denn zum einen war die ganze Luder-Lina-Nummer mit Psychisch erst knapp eineinhalb Monate her, zum anderen war Ralf in der deutschen Öffentlichkeit bis zu seiner Berufung in die Nationalmannschaft recht unbekannt gewesen, weshalb seitens der Presse ein gewisser Nachholbedarf bestand.
Den deckte er auch solo äußerst engagiert. Seine Bekanntheits- und Sympathiewerte schossen steil nach oben durch das volle Programm, das er absolvierte: Kinderfotos aus der Dortmunder E-Jugend-Zeit, sorgsam geschürte Gerüchte, nach der WM statt in der Schweiz endlich wieder in der Bundesliga zu spielen, und ausführliche Interviews (»Mein Leibgericht sind die Rouladen von Oma Else«).
Wir hatten uns geeinigt, dass ich bis auf weiteres alle Nachfragen zu unseren Treffen und den Fotos mit »Kein Kommentar!« abblocken sollte, während er sich, auf mich angesprochen, geheimnisvoll gab: »Lina Legrand und ich kennen uns schon länger, und wir verbringen sehr gerne Zeit miteinander. Aber bitte haben Sie Verständnis, dass ich dazu im Moment noch nicht mehr sagen möchte …«
Ich hielt mich brav an Ralfs Anweisungen und fuhr sehr gut damit: Anfang März bestritten wir das erste, große »Ja, wir sind ein
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