Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hochgefickt

Titel: Hochgefickt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Bergdoll
Vom Netzwerk:
oder so«, klärte Ralf mich auf. »Der ist ja ’74 als Spieler Weltmeister geworden, und deswegen heißt der Song ›Zwanzig Jahre später‹. Ich hätte es witzig gefunden, aber der DFB hat abgelehnt.«
    Ich fand es lustig, dass Tom Kosly sich anscheinend noch breiter aufzustellen versuchte, nach Werbung und TV nun auch noch Musik. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, die bald auslaufende Wette mit Tom einfach zu »vergessen«: Presse hatte ich durch Ralf ohnehin genug, daher war ich auf eine Einladung in seine Sendung überhaupt nicht mehr scharf, und auf ihn selbst schon mal gar nicht. Aber seine neue musikalische Schiene war nun doch Grund, über ein Treffen nachzudenken. Wozu investierte ich schließlich in Gesangsunterricht?
    Akut investierte ich erst einmal in feine, neue Spitzenunterwäsche und machte mir ein herrliches Wochenende in Mailand. Ein echter Mädchentraum: Schuhe kaufen, köstlich essen gehen, in der Scala bei La Bohème Tränen vergießen und mit einem blendend aussehenden Model die sexuellen Defizite der letzten Monate aufarbeiten, bis ich einen Gang hatte wie John Wayne. Nachdem ich Maurizio zum Flughafen gefahren hatte, weil er montags in New York sein musste, bereitete ich mich bestens gelaunt auf meine Rückfahrt vor, als meine Hochstimmung durch das Abhören meines Anrufbeantworters mittels Fernabfrage ein jähes Ende fand.
    »Hallo Lina Legrand«, sagte eine Stimme, die ich nicht kannte, »hier spricht Dr. Reza Ahangi. Ralf Szibuda liegt seit gestern verletzt hier im Züricher Uniklinikum, bitte kommen Sie so schnell wie möglich her! Sie erreichen mich unter der Telefonnum mer …«
    Das Blut sackte mir in die Beine, ich notierte mir die Nummer und rief umgehend zurück. Eine Dame erklärte mir, dass Dr. Ahangi leider gerade im OP und daher nicht zu sprechen sei, und Auskunft über Patienten dürfe sie mir ohnehin nicht geben. Was für ein Glück, dass ich mit dem Auto nach Mailand gefahren war, denn so konnte ich bereits dreieinhalb Stunden später vor dem Züricher Uniklinikum parken.
    Nach Auskunft der Schnepfe am Infotresen war erstens keine Besuchszeit mehr, und zweitens sei Ralf Szibuda nicht als Patient gemeldet, und es ärgerte sie sichtlich, dass Dr. Ahangi mich umgehend in der Eingangshalle abholte, nachdem sie ihm widerwillig meine Ankunft mitgeteilt hatte. Dr. Reza Ahangi war zwischen Ende Dreißig und Anfang Vierzig und todsicher der Schwarm aller Krankenschwestern und Patientinnen: Er sah aus wie Omar Sharif in Dr. Schiwago und war darüber hinaus auch noch unglaublich freundlich. Zwar irritierte mich sein schwyzerdütscher Akzent ein wenig, weil er nicht so recht zu seiner orientalischen Optik passte, aber viel wichtiger war, was er mir auf dem Weg quer durch das Gebäude sagte: Ralfs Zustand war gottlob nicht lebensbedrohlich, allerdings hatte ihm ein gegnerischer Spieler durch einen Sprung ins rechte Knie dort nahezu alle Bänder zerstört. Trotz gut verlaufener Operation und intensiver Reha-Maßnahmen würde es mindestens ein halbes Jahr dauern, bis er sein Knie wieder zum Fußballspielen benutzen könnte – wenn überhaupt. Dementsprechend depressiv sei er nun.
    Das konnte ich mir vorstellen: Die WM war für ihn gelaufen, und seine Transferchancen nach Deutschland steigerte das wahrscheinlich auch nicht. Mir tat das nicht nur wahnsinnig leid für ihn, darüber hinaus fühlte ich mich auch irgendwie schuldig, weil ich nicht beim Spiel gewesen war, sondern mich in Mailand amüsiert hatte.
    Unvermittelt blieb Dr. Ahangi stehen, und sein Tonfall kippte plötzlich aus dem sachlichen Medizinermodus in eine bizarre Mischung aus väterlicher Strenge und verzweifeltem Flehen: »Bitte, bitte, Lina, enttäuschen Sie mich nicht!«, sagte er und öffnete die Tür, vor der wir standen. Das ganze Wochenende fühlte sich eh an wie ein Trip, da wunderte mich auch ein konfuse Beschwörungen ausstoßender Arzt nicht mehr ernsthaft.
    Außerdem galt meine volle Aufmerksamkeit nun allein Ralf, der mich aus dem Bett der Privatsuite mit verheulten Augen überrascht anschaute. »Lina …?!« – »Ralf, du Armer, es tut mir sooo leid für dich!«, sagte ich, woraufhin er schluchzend in Tränen ausbrach.
    Renate bot solch akut verzweifelten Fällen in ihrem Salon immer Trost durch ein patentes Drei-Phasen-Programm, was ihr einen Ruf als kompetentes Antidepressivum bescherte und mir quasi schon mit der Muttermilch eingetrichtert worden war:
    1. Mitgefühl äußern, damit dem Gegenüber klar

Weitere Kostenlose Bücher