Hochgefickt
nahm das alles gar nicht richtig wahr.
Mechanisch blätterte ich die sieben Doppelbilder mit insgesamt vierzehn Fotos von mir durch. Die linke Seite stand immer in krassem Gegensatz zur rechten, und ich starrte jedes einzelne Bild zunehmend fassungslos an: Mal sah man mich extrem rausgeputzt im Ballkleid-Kostüm, wunderschön strahlend und voll lebendiger Präsenz in einer perfekt ausgeleuchteten Szene agieren, rechts daneben saß ich im gleichen Kostüm im grellen Neonlicht des Cateringbusses – schockierend nicht nur durch die deutlich überschminkte Visage, sondern auch durch den unglaublich leeren und stumpfen Gesichtsausdruck, mit dem ich über meinen Plastikbecher ins Nichts stierte.
Auf einem weiteren Doppelbild stand ich links inmitten einer Menge von Menschen – Maskenbildner, Kostümbildner, Beleuchter, Regisseur, Schauspielkollegen –, die alle an meinen Lippen hingen, während ich etwas sagte; rechts auf dem Bild lauschten deutlich sichtbar alle genauso konzentriert und kriecherisch dem Kollegen neben mir, nur ich wendete mich halb ab und verdrehte völlig genervt die Augen, als wollte ich gleich eine Szene aus dem Exorzisten nachspielen.
Mich traf besonders der Bilderdialog, in dem ich links perfekt gestylt aus dem Maskenmobil kam und objektiv wirklich aussah wie eine Göttin, die noch mal einen Blick auf ihren Text wirft; rechts hingegen verließ ich das Maskenmobil morgens um halb sechs – abgeschminkt, übernächtigt, zerzaust und in einer furchtbaren Zottelstrickjacke, während ich schielend vor Müdigkeit matt und ausgebrannt auf die Dispo für den in wenigen Stunden beginnenden neuen Drehtag glotzte.
Die restlichen Bilder konnte ich nur noch verschwommen erkennen, weil mir mittlerweile die Tränen in die Augen geschossen waren und mir schwindelig wurde. Das Schlimme an diesen Bildern war aber nicht, dass ich mitunter furchtbar aussah oder dass mein mühsam aufgebautes Image als sympathische Sexbombe mit diesen Bildern torpediert oder sogar demontiert wurde – was mich wirklich schockte, waren zwei Tatsachen: zum einen, dass ich auf den Bildern genau erkennen konnte, wo Lina aufhörte und Jacqueline anfing, zum anderen, dass Jens mich dermaßen durchschaut hatte, ohne dass ich es auch nur im Ansatz gemerkt hätte. Mir war noch nicht mal aufgefallen, dass er mich überhaupt abseits seiner Arbeit als Standfotograf abgelichtet hatte, geschweige denn mit solch einem Röntgenblick für meine Grundkonstitution. Vielleicht waren das auch alles nur Blindtreffer, auf die ich emotional überreagierte, weil ich überarbeitet und darüber hinaus meiner schizoiden Alltagsgestaltung überdrüssig war. Aber selbst wenn es nur zufällig meine überspannten Nerven traf, es änderte nichts am Grundgefühl, das diese Fotos in mir auslösten: Im Playboy hatte ich mich als Lina Legrand bewusst und kontrolliert ausgezogen, auf diesen Bildern hier hingegen war ich als Jacqueline Große sogar bekleidet immer noch nackter und ehrlicher auf dem Präsentierteller, als ich gerade zu diesem Zeitpunkt verkraften konnte.
Als ich beim siebten Doppelbild angelangt war und immer noch verzweifelt versuchte, meine äußerliche Reaktion auf die Fotos wenigstens halbwegs im Griff zu halten, hörte Jens auf, in seiner Tasche kramend über die Ausstellung zu plappern, und präsentierte mir triumphierend einen weiteren Abzug: »Und das ist mein absolutes Lieblingsbild von dir, das bricht nämlich alle vorherigen total!«
Ohne ihn anzusehen, griff ich schnell nach dem Foto: Links ein Foto, das mich wild geschminkt zeigte, mit Veilchen, Platzwunden, Schwellungen und Würgemalen, nach allen Regeln der Maskenbildnerkunst zugerichtet als gedemütigtes, verheultes und zerschlagenes Opfer im Rahmen der Rolle – rechts daneben prangte ein Bild, auf dem ich breit grinsend und mit strahlenden Augen die Reste des Make-ups mit einem Waschlappen entfernte, in der Hand eine fette Sportzigarette und im Hintergrund glitzernd das nächtliche Prag.
Bevor ich meine Gedanken sinnvoll ordnen und irgendetwas zu den Fotos sagen konnte, klopfte es hektisch an der Türe, und der Aufnahmeleiter machte endlich mal wieder das, wofür er bezahlt wurde: Stress. »Wir drehen gleich! Alle sofort zum Set!«
Deshalb beschlossen Jens und ich, uns am folgenden Tag noch mal zu treffen und über die Fotos zu reden, bevor ich in die Eifel und er nach Amsterdam fahren würde.
»Nimm sie ruhig mit und schau sie dir noch mal ganz in Ruhe an, bitte«, sagte
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