Hochsaison. Alpenkrimi
auf der sogenannten VIP -Terrasse aufgehalten haben. Um sich von dort einen zu greifen, würde auch eine kleinere Ablenkung genügen. Aber unser Marder hat den hundertfachen Aufwand getrieben: Eine komplizierte Laserapparatur in einem Hotelzimmer, aufwändige Folgeanschläge mit außergewöhnlichen Kommunikationsmethoden. Ich schätze, dass man ein paar Monate braucht, um so etwas vorzubereiten – wenn man allein ist, wovon ich immer noch ausgehe. So ein Aufwand lohnt sich aber doch nur, wenn ich ein Objekt auf der allerobersten Ebene im Auge habe.«
»Haben Sie dazu ein Szenario?«, fragte Nicole.
»Natürlich. Der Marder schießt vom Hotelzimmer aus auf Sørensen, er geht runter zur Skischanze, er weiß, wo der Ultra zu finden ist. Die Leibwächter sind durch den Rummel abgelenkt und kümmern sich um andere Dinge. Außerdem ist der Ultra kein Filmschauspieler, den jeder kennt. Es ist meinetwegen, nur um ein Beispiel zu nennen, das mir gerade einfällt, äh –«
»– ein Mitglied der Nobelpreisjury?«, schlug Nicole vor.
»Ja, genau, so eine Kategorie. Da alles in heller Aufregung ist, kann sich der Marder dem Promi nähern. Er macht mit ihm irgendeine Sache von niederster Moralität. Dann geht er zurück, baut seinen Laserapparat ab und nistet sich irgendwo anders im Kurort ein. Um zu verdecken, dass es hier um etwas
Großes, Geldiges, Weitreichendes gegangen ist, führt er noch ein paar unblutige Anschläge durch, beschäftigt die Polizei vor Ort, präsentiert sich als egomanischer Spinner, als krimineller Snob, der es sich sogar leisten kann, mit unverstellter Handschrift zu arbeiten. Dann verschwindet er spurlos.«
»Und das soll alles eine einzige Person gemacht haben?«, sagte Stengele zweifelnd.
»Mit der nötigen Vorbereitung kann man viel alleine machen«, entgegnete Jennerwein.
»Sergei Netschajew«, fiel Maria ein. »Russischer Anarchist. Bis er 1902 gefasst wurde, ging die zaristische Polizei von einer Gruppe mit mindestens einem Dutzend Teilnehmern aus. Die Überraschung war groß – und der Spott der Bevölkerung nicht minder, als sich herausstellte, dass es nur ein Einziger war. Der ermittelnde Polizeikommissar wurde von der Obrigkeit härter bestraft als der Attentäter.«
»Ich verstehe die Anspielung«, sagte Jennerwein lächelnd. »Wir brauchen also –«
»– eine Liste der Alphas, die am Neujahrstag, vielleicht inkognito, da waren. Das wird vermutlich schwierig.«
»Schwierig ist gar kein Ausdruck«, sagte Hölleisen. »Es ist eigentlich unmöglich, denn ich wüsste nicht, wer solch eine Liste haben soll. Offizielle Stellen jedenfalls nicht. Diese Alphas, wie Sie sie nennen, haben sich in der VIP -Lounge aufgehalten, die im unteren Bereich des Schiedsrichterturms versteckt ist. Die Zufahrt ist verdeckt, man fährt durch ein Wäldchen, die Straße ist hochgradig abgesichert.«
»Aber die örtlichen Sicherheitskräfte –«
»Das hat mit den
örtlichen
Sicherheitskräften nichts mehr zu tun. Viele Prominente sind aus dem einfachen Grund inkognito da, um der örtlichen Polizei den enormen Sicherheitsaufwand zu ersparen. Sagen wir mal, nur als Beispiel, wirklich nur als Beispiel, der amerikanische Präsident würde sich gerne
das Neujahrsspringen anschauen. Da müsste man ganze Viertel im Ort evakuieren, Demonstrationen zulassen, eine ganze Stadt für die Presse bauen, große Polizeikräfte zusammenziehen – das alles würde nicht gerade zur Lockerheit von solch einer Veranstaltung beitragen. Dafür ist die VIP -Lounge da. Hier gehen die ganz großen Tiere ein und aus.«
»Aber der Bürgermeister ist doch Hausherr dieser Veranstaltung.«
»Auch der Bürgermeister hat auf die VIP -Lounge keinen Einfluss. Er ist droben auf der VIP -Terrasse zu finden. Bei Rosi Mittermaier und Michael Schumacher.«
»Waren Sie selbst schon mal drin, Hölleisen?«, fragte Maria.
»Ja, ganz am Anfang, als der Bau der Sprungschanze gerade beendet war. Da durfte ein kleiner Dorfpolizist noch hinein. Es ist ein überschaubarer Raum, in dem schätzungsweise hundert Personen Platz finden. Seitdem war ich aber nicht mehr drin.«
»Also keine Chance, zu erfahren, wer sich da alles getummelt hat? Keine diskrete Gästeliste, zugeschoben vom BND oder vom – wie hieß der nochmals? – CIC ?«
Hölleisen lächelte.
»Ich sehe da bloß eine Möglichkeit. Der vermutlich einzige Einheimische, der dort Zutritt hat, ist der Fischer Beppi.«
»Der Zitherspieler?«
»Genau der.«
53
»Bei wie vielen
Weitere Kostenlose Bücher