Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
Vom Netzwerk:
dem Friedhof herausführten. Dreißig
Meter vor sich sah sie den Mann gehen, den sie vorher am Grabstein gesehen hatte. Er blickte sich kurz um, sah sie und beschleunigte sein Tempo. Das hatte vielleicht nichts zu bedeuten. Doch jetzt blickte er sich nochmals um. Sie sprach in ihr Sendermikro.
    »Hallo, hier Nicole. Ich bin momentan auf der Nordseite des Friedhofs, im Sektor – keine Ahnung – hier ist ein riesiger Felsbrocken als Grabstein – Moosbacher Liesl steht drauf. Da schleicht ein Mann mit einem Fotoapparat herum, es könnte ein Asiate sein. Ich nehme die Verfolgung auf. Er ist klein, muskulös, etwa Mitte dreißig. Geht vor mir her. Er hat sich kurz umgedreht, jetzt geht er schneller.«

58
    Nicole Schwattke verfiel in Laufschritt.
    »Halt, warten Sie!«
    Der Mann blieb stehen. Kriminalkommissarin Schwattkes rechte Hand schwebte nervös in der Nähe der Dienstpistole.
    »Warum laufen Sie vor mir weg?«, fragte sie freundlich.
    »Was wollen Sie von mir?«, erwiderte der Mann in erheblich unfreundlicherem Ton. »Warum verfolgen Sie mich?«
    »Kriminalpolizei, Routinekontrolle, laufende Ermittlung«, sagte Nicole und zeigte ihren Dienstausweis. »Legen Sie bitte Ihren Fotoapparat langsam auf den Boden, heben Sie die Hände über den Kopf und stellen sie sich möglichst breitbeinig hin.«
    »Willkommen im Polizeistaat Deutschland«, sagte der Mann.
    Nur nicht provozieren lassen, dachte Nicole. Laut sagte sie: »Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen. Sie haben vielleicht gehört, was hier im Ort in letzter Zeit los war. Aus diesem Grund führen wir Sicherheitskontrollen durch. Es ist übrigens auch zu Ihrer Sicherheit.«
    Nicole versuchte den guten Cop zu geben, die warmherzige Staatsdienerin, sie legte ein paar Kilo Verständnis und einen Zentner Großmut in ihre Stimme. Der Mann ließ sich davon nicht beeindrucken. Er hob die Hände, während er sie entrüstet anfuhr:
    »Das ist wirklich unglaublich! Sie behandeln mich wie einen
Schwerverbrecher! Weil ich Ausländer bin? Ich lebe mit meiner Familie seit Jahren hier, habe Ihre Sprache gelernt, führe im Ort ein Restaurant, gebe einigen Menschen einen Arbeitsplatz –«
    »Bleiben Sie ruhig und behalten Sie die Hände oben, ich werde Sie jetzt durchsuchen.«
    Rasch hatte Nicole den Mann abgetastet, keine Schusswaffe, keine Nachtsichtgeräte, keine Panzerabwehrraketen, kein Atomsprengkopf, puh. Erleichtert richtete sie sich auf und entspannte sich. Die Kleidung klebte ihr auf der Haut. Sie trat einen Schritt zurück und sah dem Mann ins Gesicht. Er wirkte aufgebracht, aber nicht aggressiv. Sie schätzte ihn als nicht gefährlich ein. Sie war noch jung.
    »Danke für Ihre Geduld. Ich würde gerne noch einen Blick in Ihren Ausweis werfen.«
    Der Mann hielt die Hände immer noch über dem Kopf. In der Ferne hörte man
Highway to hell
, gesungen vom Voralpenchor. Die Hälfte der Trauergäste sang mit. Die Geräuschkulisse, die da von Ferne herwehte, war gespenstisch.
    »Sie können die Hände wieder herunternehmen«, sagte Nicole. Noch immer hielt der Mann beide Hände über dem Kopf. Das hätte Nicole zu denken geben müssen.
     
    Der Trick ist keiner von den ganz spektakulären, aber seine Wirkung ist doch immer wieder verblüffend. Zauberkünstler führen ihn aus nächster Nähe vor. Auf der gerade noch leeren Handfläche erscheint – nur einmal kurz die Faust geballt – eine Münze. Zauberei? Keineswegs. Der Magier klemmt die Münze so zwischen Mittel- und Ringfinger, dass sie beim Betrachten der Handfläche nicht sichtbar ist. Während er die Hand zur Faust schließt, lässt er die Münze in die Hand fallen, wenn er die Faust öffnet, ist plötzlich eine Münze da. Wong hatte diesen Trick vor Jahren bei einem Jahrmarktsgaukler in Hongkong gesehen, und er hatte viel Energie darauf verwendet, ihn zu lernen.
Jetzt beherrschte er eine Variante davon: Wong konnte aus dem Nichts ein höchst stichbereites Messer erscheinen lassen.
    »Ich würde noch gerne Ihren Pass sehen. Und nehmen Sie endlich die Hände runter, das ist ja albern.«
    Wong lächelte.
     
    Wong zuckte mit den Achseln und lenkte dadurch davon ab, dass er das Messer in eine andere Position brachte. Er krümmte die Hand nach vorne, bekam somit das Ka-to am Griff zu fassen und führte die Bewegung nach unten weiter. Wongs Gnadgott raste so schnell auf Nicoles Brust zu, dass sie, selbst wenn sie es gesehen hätte, zu keiner Abwehrbewegung mehr fähig gewesen wäre. Die Spitze des scharfen Messers

Weitere Kostenlose Bücher