Hochsaison. Alpenkrimi
Zischeln im Zelt, sogar die Bedienungen blieben stehen, um das folgende Spektakel mitzuverfolgen. Denn jetzt kam ein einheimischer Crack, ein Lokalmatador: Der Wasl Wuni, ein Mannsbild mit hundertdreißig Kilo Lebendmasse, nicht etwa Metzger von Beruf, sondern Steuerfachangestellter in Ausbildung, aber einer, der schon einige Preise im Steinheben eingeheimst hatte. Die Stimmungskanone heizte zusätzlich noch tüchtig ein.
»Und jetzt kommt Wuuuuuuuni –«
»– Waaaaaaasl!«, vervollständigte das Zeltpublikum, das inzwischen auf sechshundert Besucher angewachsen war. Den Wasl Wuni musste man sich anschauen. Den konnte man sich nicht entgehen lassen. Jetzt tappte er auf die Bühne, der Wasl, eine mächtige Komposition aus Fett und Muskeln. Er grüßte in die Menge, dann nahm er einen kräftigen Schluck aus einem extra für ihn angefertigten Zweiliter-Masskrug.
»Gell, so einer wäre recht bei der Polizei!«, schrie Harrigl vom übernächsten Tisch herüber. Gelächter, Gegröle, die Blaskapelle schmetterte –
♫ We are the champions
– und verwandelte den Auftritt des Wasl Wuni in einen Auftritt eines unbesiegbaren Gladiators im Strickjanker. Jetzt stieg er auf die Heberampe und grüßte nach allen Seiten, auch hinauf zu einer gedachten Galerie, die es hier gar nicht gab. Er unterbrach. Er
stellte den Fuß auf einen Stuhl, um sich die Schnürsenkel zu binden: ADIDAS war da zu lesen, auch das musste sein. Die Musik verstummte, es wurde auch sonst erstaunlich ruhig im Zelt, man wusste: Der Wasl Wuni konnte sich so besser konzentrieren. 82 Zentimeter hatte der Weixlbaumer Martin aus Krün vorgegeben, 82 Zentimeter mussten übertrumpft werden. Der Stein lag noch friedlich in seinem Schacht. Es war ein Stein, den kaum einer der Mannsbilder hier im Zelt auch nur einen Zentimeter gelüpft hätte. Es wurde noch stiller im Publikum, bis zuletzt nur noch die Kleinkinder schrien. Hier geschah gleich etwas ganz Großes, das spürte jeder. Der Wasl Wuni packte mit seinen magnesiabeschmierten Pratzen den Griff des 500-Pfund-Ungetüms. Er stellte sich in Position. Er schloss die Augen. Er zog an. Und mit dem ersten Ruckler hob der Muskelprotz den Stein auf einen halben Meter hoch, als wäre das nur eine Übung zum Aufwärmen. Doch er zog weiter, der Wasl. 60 Zentimeter, 70 Zentimeter. Das Kreischen im Saal schwoll auf eine Dezibelzahl an, wie sie zuletzt bei einem Vulkanausbruch gemessen wurde. Dieser phonetische Zuspruch gab dem Wuni noch einmal einen Schub. Er kniff die Augen fester zusammen und zog ein weiteres Mal an. 80 Zentimeter, der Wuni wurde feuerrot. 90 Zentimeter. Die Stimmungskanone am Mikrophon schrie:
»Wuni, lass es krachen!«
Die entgeisterten Musiker schnappten sich ihre Instrumente und stießen wild in die Hörner. Die Quartenorgie von
♫ Wittelsbach, o stolzes Königshaus
gab dem Wuni noch einmal das Quentchen übermenschlicher, puterrot gefärbter Kraft, und er zog den Findling auf 105 Zentimeter hoch – das war schon eine Handbreit über dem Rand des Schachts, in den der Stein zurückfallen sollte. Mit dem nächsten Zug hatte der Wuni einen Jahrhundert-Rekord aufgestellt. Dann konnte der Wuni nicht mehr, er ließ den monströsen Stein fallen und trat einen Schritt zurück. Der Stein fiel nicht zurück in die Öffnung, der Stein
verkantete sich, er legte sich quer über die obere Begrenzung und kippte langsam über den Rand. Der Stein fiel herunter und krachte auf den gusseisernen Sockel. Dort zerbrach er in zwei Teile.
Die Musiker ließen ihre Instrumente sinken. Der Stimmungskanone glitt das Mikrophon aus der Hand. Der Saal verstummte schlagartig. Die meisten, die sich eben noch die Seele aus dem Leib geschrien hatte, standen da in sprachlosem Entsetzen. Im Inneren des zerbrochenen Steins konnte man deutlich zwei Männer erkennen, die in inniger Umarmung verschlungen waren. Sie waren gut erhalten durch die Beigabe von Bitumen zum Zement. Der eine hatte ein Loch in der Stirn, dem anderen ragte ein Austernmesser mit einem Holzgriff aus der Brustgegend. Dr. Steinhofer und Xun Yü hätten es sich nie träumen lassen, auf diese Weise der Höhepunkt eines Bierzeltabends zu werden.
Epilog
Die 628. Heimatwoche war schon wieder Geschichte, Jacques Rogge reiste gerade ab, in alten Bauernfamilien wurde das Fest der hl. Stephanie gefeiert, und man beging den Namenstag von Eleonora, als Polizeiobermeister Ostler kräftig an die Eichenholztür mit der verschnörkelten Aufschrift
Privat
klopfte.
»Frau
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