Hochsaison. Alpenkrimi
beschießen würde.
»Welches Kaliber verwenden Sie?«, fragte Jennerwein. »Bevor wir die Kugel nicht gefunden haben, gibt es ja keinen Anhaltspunkt.«
»Wir schießen mit Kaliber 5,45 mm. Die Wirkungen aller anderen Geschossgrößen können wir vor- und zurückrechnen.«
»Und warum haben Sie Ihr Blasrohr gerade an dieser Stelle platziert?«, hakte Stengele nach. »Wir haben doch keine Ahnung, wo der Schütze gestanden oder gelegen hat.«
»Auch dieser Ort ist der Simulationsmittelpunkt. Alle anderen Orte lassen sich von hier aus berechnen.«
»Ist das alles gerichtsverwertbar?«, hatte Jennerwein gefragt.
»Nein, natürlich nicht. Aber wenn es gilt, einen Verdacht zu erhärten oder zu entkräften –«
– ist das schon einmal ein paar Zehntausender an Steuergeldern wert, setzte Jennerwein im Geiste fort.
Gisela sprang ab und lag fast wie einer der Großen des Skispringens in der Luft. Und toll anzusehen war das schon, auch für die Nicht-Techniker im Team, wie man einen Haufen Räder und Blech, einen – mit Verlaub, Gisela! – Schraubensack dazu bringen konnte, solch einen Sprung zu machen, auf den mancher Sportler stolz gewesen wäre. Nun gut, ein paar Punktabzüge hätte sie sicherlich bekommen fürs Flattern und Rudern, für die nicht ganz lupenreine Haltung, für die nicht-humanoide
Eckigkeit. Und jetzt, am höchsten Punkt der Kurve, verriss es ihr auch noch den rechten Ski, das rostige Blasrohr unten hatte losgeballert, und sie kam dadurch total aus der Bahn. Aber total. Gisela gab auf. Sie schickte noch einen Schwall Messdaten zur Bodenstation, dann bewegte sich ihre Flugparabel auf den unvermeidlichen Nullpunkt zu.
Und auch der hartgesottenste Techniker in der Truppe Beckers wandte den Kopf ab und dachte an Åge Sørensen. Die entsprechenden Fernsehbilder waren noch zu präsent.
»Weiß man eigentlich, wie es ihm geht?«, fragte Nicole Schwattke. »Dem armen Dänen?«
»Das weiß niemand so genau«, erwiderte Jennerwein. »Er ist auf jeden Fall noch nicht vernehmungsfähig.«
In der Tat war Åge Sørensen, der nur drei Krähenschreie von hier entfernt lag, immer noch nicht bei Bewusstsein, sein Denken hatte sich mehr und mehr in die ursprünglicheren Windungen des Gehirns zurückgezogen. Bei seiner Suche nach Thor beugte sich Åge von seinem Apfelschimmel Gulltopp und fragte Thökkhild, die Wegweiserin, die wies mit ihrer sehnigen Hand auf einen bewaldeten Hügel in der Ferne. Im Zimmer blubberte, piepste und knackste es nach wie vor, und Åge (oder der Rest von Åge, denn der Hüne mit der Knochensäge hatte ganze Arbeit geleistet) war nicht allein. Die kleine Frau, die jetzt im Zimmer stand, war ebenfalls grünblau gewandet, vom kecken OP -Käppi angefangen bis hinunter zu den derben Clogs war sie den Engeln in Grünblau durchaus ähnlich, aber man sah ihr sofort an, dass sie keine Ärztin oder Pflegerin war. Sie beugte sich über Åge, und zwischen dem Keuchen des Beatmungsgeräts und dem Piepsen des EKGs sprach sie zu dem Bewusstlosen, der jetzt durch Krygalds ritt, dem Wald des Vergessens. Die kleine Frau musterte sein Gesicht und berührte es mit den Fingerspitzen. Dann drehte sie sich um und machte sich an
einem der Infusionsschläuche zu schaffen. Es war eine gastrale Infusion, die direkt in den Magen ging und ihn so künstlich ernährte. Die kleine Frau öffnete eine Tupperware-Dose und zog mit einer Spritze etwas von dem dickflüssigen Brei auf. Sie zögerte kurz, stach mit der Spritze in den Schlauch und drückte den rötlichen Inhalt hinein, bis die Spritze leer war.
13
Lieber Herr Kommissar,
wie viele Briefe habe ich jetzt schon geschrieben und nicht abgeschickt! Ob ich diesen abschicke, steht auch noch in den Sternen. Ich frage mich oft, was Sie mit so einem Brief machen. Legen Sie ihn gleich beiseite – weil ja noch nichts passiert ist? Handeln Sie streng nach den Dienstvorschriften? Oder setzen Sie da schon mal ein Team dran?
Aber jetzt zum Fortgang meiner Aktivitäten. Ich bin da gerade an einer Sache dran, die mir interessant genug erscheint, dass sie uns beide beschäftigen könnte. Es ist ein relativ seltenes, aber umso nachhaltigeres Delikt mit großer Breitenwirkung, das, gut genug vorbereitet, beiden Seiten viel Freude machen könnte. Das Wort, das es dafür gibt, ist nicht schön, es klingt nachgerade brutal, viele Pfuscher und Dilettanten haben sich schon daran versucht und das Blut spritzen lassen. Ich will das alles eleganter machen, das können Sie mir
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