Hochsaison. Alpenkrimi
beobachten.
»Entschuldigen Sie, sind die Polizisten hier echt?«, fragte einer, als Beckers Leute ein paar Kisten vorbeitrugen. »Oder wird da vielleicht ein Krimi gedreht? Das da drüben ist doch der Hugh Grant, oder?«
15
Kalim al-Hasid und sein Leibwächter Jusuf standen irgendwo auf der Welt zusammen, im üblichen Abstand von fünf oder sechs Metern, in Sprungweite, in Rufweite, in Schussweite. Irgendwo auf der Welt deshalb, weil es mit den Hotelfoyers inzwischen so ist wie mit den Fastfood-Restaurants: Drinnen errät man nicht einmal mehr den Erdteil, auf dem man sich gerade befindet. Doch es war nicht Jusufs Job, zu wissen, wo auf der Welt er sich gerade befand. Es war sein Job, Kalim al-Hasid lebend über den Tag zu bringen, wo auch immer. Jusufs Objekt hatte den lang erwarteten Sponsor im Gedränge der Hotelhalle endlich entdeckt, er winkte ihm, und die beiden setzten sich auf eine allesverschlingende Ledercouch. Es vergingen keine fünf Minuten, und Kalim formte mit den Händen eine monströse Sprungschanze, die weit aufs Meer hinausreichte. So muss Odysseus seinen Gefährten den Weg nach Ithaka erklärt haben, ohne allerdings, wie Kalim gerade eben, eine Blumenvase umzustoßen. Jusuf positionierte sich so, dass er die Eingangstüren im Auge hatte.
»Soll es denn dann eine Mattenschanze werden?«, fragte der Sponsor.
»Wo denken Sie hin, nein, keine Mattenschanze!«, erwiderte der kühne Dubaier Sportvisionär und versuchte das Blumenwasser aufzutupfen. »Es wird eine richtige, originale, nordische Skischanze mit weißem Schnee, mit Pulverschnee, mit Firn, mit Harsch, mit Lumi, was auch immer.«
»Was heißt eigentlich Schnee auf Arabisch?«, fragte der Sponsor.
»Sehen Sie«, fuhr Kalim fort, »wir Wüstenbewohner umschreiben das immer gern.
Die blendende Himmelsgabe, die im Abendland die Wege der Menschen verkürzt und ihre Herzen erhellt
– so etwas in der Art.«
»Gibt es kein kürzeres Wort für Schnee?«
»Ich habe vor, ein paar Dutzend Ausdrücke für
Schnee
ins Arabische einzuführen. Wenn der Schnee erst einmal da ist, werden sich auch Wörter dafür finden. Aber zunächst soll der Schnee einen unmittelbaren Eindruck auf die Menschen ausüben. Der Schnee muss so weiß sein, dass die Kinder auf die Auslaufbahn laufen und eine Schneeballschlacht veranstalten möchten.«
»Eine Schneeballschlacht mit künstlichem Schnee?«
»Künstlicher Schnee!«, rief Kalim al-Hasid entsetzt. »Wo denken Sie hin. Das passt nicht zu meiner Philosophie. Echter Schnee natürlich!«
»Echter Schnee in Dubai?«
»Wir werden – um nur ein Beispiel zu nennen – echten Allgäuer Schnee einfliegen lassen. Am Montag gibt es also Oberstdorfer Schnee, am Dienstag original
champagne powder
aus Calgary, am Mittwoch finnischen
firn-lumi
aus Tampere. Und dann: abgestimmte Produktlinien. Am ersten Tag wird es in den umliegenden Restaurants original Allgäuer Kässpätzle geben, am nächsten Tag die saftigsten amerikanischen Steaks, die man sich vorstellen kann, am dritten Tag –«
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte der Sponsor.
»Sie Schelm haben mich drangekriegt!«, lachte Kalim. »Aber das Prinzip ist klar. Nur Originale, keine Fälschungen. Das ist meine Philosophie. »
Jusuf beobachtete weiter die hereinströmenden Hotelgäste. Er erfasste jeden, er checkte alle durch, auch die alte kleine gebrechliche Dame, die sich jetzt gerade durch die Schwingtür kämpfte, und die so unglaublich harmlos aussah mit ihren blau gefärbten Haaren, mit ihrem abgewetzten Köfferchen und ihrem schusseligen Getue. Gerade solche unglaublich harmlos aussehenden Erscheinungen checkte Jusuf besonders genau. Doch diese spezielle gebrechliche kleine Dame war wohl eine echte gebrechliche kleine Dame, und er ließ sie unbehelligt ziehen. Dann kam einer herein, der ganz cool sein wollte und einen Prospekt an der Rezeption studierte, doch seine kleinen, verstohlenen Blicke hin zu den Überwachungskameras im Hotelfoyer verrieten ihn als einen, der seinen Lebensunterhalt nicht im Gemüsehandel verdiente. Jusuf kannte ihn, es war ein kleiner Hehler im Kunstgeschäft. Eine Alarmstufe zurück. Keine Gefahr für sein Objekt.
Jusuf entspannte sich. Er dachte über die Ereignisse am Neujahrstag nach. Er hatte seinem Arbeitgeber Kalim al-Hasid nichts davon erzählt. Er wollte sich nicht in die peinliche Situation bringen, zugeben zu müssen, dass er die Situation überhaupt nicht im Griff gehabt hatte. Die ganze Geschichte war alles
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