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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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innovativ genug für die Firma. Nicht hip, nicht taff, nicht knitz, gar nichts. Also musste sie jetzt da durch.
     
    Im April hielt man den Aufstieg zum Jagdschloss noch gesperrt für normalsterbliche Romantiker, zu schneebedeckt und eisig waren die Wege. Doch die Agentur war ein nachhaltiger und vor allem zahlungskräftiger Nutzer der felsigen Locations rund um den Talkessel, sie füllte die Hotels, Restaurants und die Gemeindekassen, und ihre Kunden kamen, anders als die Hamburg/Sizilien-Raser, die ohne anzuhalten die Alpspitze knipsten und weiterhetzten, immer und immer wieder. Die Agentur bekam eine Sondererlaubnis.
    Eine historische Wanderung mit der Agentur IMPOSSIBLE bedeutete allerdings auch eine Wanderung in historischen Gewändern, und die waren höllisch unbequem, wie Ilse Schmitz schon nach den ersten paar Schritten bergan feststellen musste.
Jeder der zwanzig Teilnehmer war bis in die Unterwäsche hinein authentisch verkleidet, das zwickte und zwackte, das rötete die Haut, und die gute alte Zeit war jetzt schon ein kleines bisschen lästig. Die Klamotten der Jungsteinzeit waren bequemer gewesen. Am Anfang lachte und scherzte die Gesellschaft noch, doch dann, als der Weg steiler und rutschiger wurde, als die Mitarbeiter der großen Weltfirma knöcheltief im Schnee wateten, verstummten die Gespräche. Jeder versuchte sich auf seine Rolle zu konzentrieren. Ilse Schmitz selbst trug das Gewand einer höfischen Kurtisane, der mächtige Reifrock und der knappe Spenzer über der drückenden Korsage, der ausladende Lady-Chatterley-Hut und die filigranen Schnürschuhe siedelten sie irgendwo zwischen Madame de Pompadour, Lola Montez und Camilla Parker Bowles an. Den Herren in der historisch verbürgten Wandergruppe erging es bezüglich solcher Unbequemlichkeiten nicht besser. Vor Ilse stapfte ein ungarischer Gardeoffizier in vollständiger Paradeuniform, bestehend aus Pickelhaube mit Rosshaarbusch, Mantel und Gardesäbel (Herr Schuchart von der Entwicklungsabteilung), hinter ihr schritt ein Bischof im bestickten Zeremoniengewand, natürlich mit Mitra, Stab und dem stets sichtbar zu haltenden Siegelring (Herr Bröseke vom Marketing), und ganz hinten buckelte ein Diener in der schweren, leinernen Livree der Wittelsbacher Domestiken (Herr Häuptl vom Controlling) – trotz des Buckelns trug Herr Häuptl ein großes rotes Kissen mit ausgestreckten Armen vor sich her, auf dem eine silbern verzierte Jagdbüchse lag – ein dramaturgisches Element, das zu mancher Spekulation bezüglich des heutigen Events Anlass gab. Man stapfte jetzt an der Ochsenwiese vorbei, die Sonne zwängte sich durch knospende und tropfende Zweige, das versöhnte ein wenig mit den Mühen des Aufstiegs. Die Regeln dieses
history walks
waren einfach: Man musste die Rolle, die einem durch das Kostüm zugewiesen worden war, möglichst durchgängig verkörpern: Wer war am
Schluss der schneidigste Gardeoffizier, der glaubhafteste Bischof, der buckligste Diener, die verführerischste Kurtisane? In diesem Bewusstsein bewegte sich der kleine Hofstaat hinter einem Hornschlitten her, der von vier Lakaien gezogen wurde. Vorne auf dem Kutschbock saß ein fünfter an der Lenkstange. In der blumengeschmückten Sänfte, die auf dem Schlitten montiert war, musste König Ludwig II . selbst, der unangefochtene Herrscher aller Bayern, vermutet werden. Die Lakaien waren in Wittelsbacher Blau gewandet, die gleichwohl dunkelblauen Samtvorhänge der Sänfte waren geschlossen, nur einmal, bei der ersten Pause am Kölbertritt, war eine behandschuhte Hand erschienen und hatte den Vorhang leicht aufgezogen. Sie hatte gewinkt, die königliche Hand, und gleich darauf ein Glas Champagner erhalten. Alle hatten versucht, einen Blick ins Innere der Sänfte zu erhaschen, undeutlich konnte man da einen Mann mit langen schwarzen Haaren erkennen, Nase und Mund waren mit einem purpurnen Tuch verhüllt. In einer Kurve zog er den Vorhang etwas weiter auf und blickte huldvoll heraus.
    »Ist das überhaupt der König? Ich meine, unser
Kini
?«, fragte Herr Wurchterdinger vom Vertrieb, der den Großherzog von Regensburg verkörperte und ein bis zu den Knien reichendes Kettenhemd trug. »Der schaut ja ganz anders aus! Der schaut ja aus wie –« Dann war der Vorhang wieder geschlossen worden.
    Man ächzte eine weitere halbe Stunde hinter dem schwankenden Gefährt her, einmal tauchten vier Jäger aus dem Dickicht auf, brachten sich in Stellung und bliesen auf ihren messingblitzenden

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