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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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schon, Bürgermeister!
)
     
    Der Bürgermeister hatte es diesmal schlauer eingefädelt. Er hatte das Interview nicht irgendwo, eingezwängt zwischen vorlauten Bürgern, gegeben, sondern er hatte an einer richtigen Fernseh-Talkrunde teilgenommen, bei der die Teilnehmer samt zugehörigen Positionen schon vorher bekannt waren. Außer dem Gute-Laune-Kracher Georg »Schorsch« Hackl, der mit glänzenden Augen ab und zu Anekdoten aus dem Schlittensport einstreute, saßen nur die üblichen Politiker aus den üblichen Lagern mit den üblichen Argumenten da. Die schmallippige Moderatorin kämpfte tapfer mit der deutschen Grammatik, so konnte sich der Bürgermeister ganz auf die junge Vertreterin der ökologischen Front konzentrieren, einer gefühlt vierzehnjährigen Heißspore, die gerade den Fehler gemacht hatte, den Volkszorn mit dem Nebensatz herauszufordern, ob denn solche Spiele
überhaupt nötig wären
. Ja, wenn sie natürlich vielen Milliarden Menschen eine riesengroße Gaudi wegnehmen wollte, weinte der Hackl Schorsch dagegen, wenn sie das ganze Glück in Frage stellen wollte, den ganzen Stolz, die Begegnungen zwischen den Menschen – ja, dann – Im Studio brandete warmer Applaus auf, die Heißspore wich zurück.
    »Aber die Erderwärmung«, lenkte die Moderatorin um. »Was ist, wenn der Schnee wegbleibt?«
     
    (Ein Zwischenruf:
Schorsch, erklär’s ihr!
)
     
    »Schauen Sie her«, sagte der Schorsch geduldig. »Da ist doch in diesem Kurort vor ein paar Tagen so eine Gspinnerte, so eine Verrückte, mit dem Hornschlitten von der Schachenhütte bis ganz hinunter ins Tal gefahren. Erst war Schnee, dann war kein Schnee mehr, einfach nur noch grüne Wiesen. Hat es ihr was ausgemacht? Rein gar nichts! Das heißt doch, dass der Schnee für den Wintersport gar nicht so wichtig ist. Wichtig ist der Zusammenhalt, die riesengroße Gaudi, die man hat, die Milliarden Menschen, die da zuschauen –«
    Jusuf schaltete den Fernsehapparat in seinem Hotelzimmer aus. Jetzt war er wieder in dem Wintersportort gelandet, in dem alles angefangen hatte. Auf diese Gelegenheit hatte er vier Monate gewartet. Sein Objekt Kalim al-Hasid traf sich in zwei Stunden mit einem Sponsor, dessen Personenschützer wiederum wollte die Bewachung beider Objekte übernehmen. Jusuf hatte eine Verabredung. Kalim al-Hasid hatte die Suite neben Jusuf bezogen, von dort hörte er Badewasser einlaufen. Jetzt klopfte es leise an der Tür. TACK TACK TACK . Jusuf war aufs Äußerste angespannt. Das war nicht das vereinbarte Zeichen mit Kalim.
     
    Geräuschlos glitt Jusuf vom Bett und bewegte sich lautlos zum Eingang. Er stellte sich neben die Tür und zog seine kleine Zenelli heraus. Er entsicherte sie langsam, ohne dass man dabei mehr als das
ffflup
eines auffliegenden kleinen Vogels gehört hätte.

38
    Ohrenbetäubendes Glockengeläute zwischen vier und fünf Uhr früh verknüpft man in kleineren Gemeinden mit Katastrophen drastischer Art. Solch ein plötzliches Getöse kann eigentlich nur bedeuten, dass der Jüngste Tag gekommen war, dass Dschingis-Khan oder einer seiner Nachfahren vor Passau standen, dass das Wirtshaus brannte – Katastrophen von dieser Art eben. So ein Glockengeläute zur Unzeit war im Kurort vor ein paar Jahren schon einmal vorgekommen. Damals war die prächtige Barockkirche ausgerechnet über die Karnevalszeit renoviert worden, und am Rosenmontag war morgens prompt ein angeliterter Spaßvogel über die Außengerüste nach oben geklettert und hatte dort alle Glocken in Gang gebracht. Es gab ein paar Dutzend erboster Kirchgänger, die durch das Geläute aufgewacht, mechanisch aufgestanden und wie die untoten Zombies zur Kirche gewankt waren, nur um dann um vier Uhr früh vor der verschlossenen Kirchentür zu stehen. Alle waren maulend und unter Kirchenaustrittsdrohungen wieder nach Hause getrottet.
     
    Diesmal (die Kirche trug wie damals ein leicht erkletterbares Außengerüst) ertönten die Glocken wieder weit vor Sonnenaufgang, noch dröhnender als damals, doch diesmal wachte lediglich der Mesner auf und fluchte leise. Ja, stimmt, richtig gelesen: Er fluchte, wenn auch mehr innerlich. (Mehr als zwei Ave-Marias gab das ohnehin nicht.) Es dämmerte, er schlüpfte in seine Kleidung, ging hinüber zur Kirche, um nach dem Rechten
zu sehen. Die automatische Glockenanlage war ausgeschaltet, da war alles in Ordnung, es musste also wieder jemand oben im Glockenturm sein. Er nahm, für alle Fälle, einen massiven Kandelaber vom Altar und führte

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