Hochsaison. Alpenkrimi
nahm sich einen der unförmigen Becher und drückte ihn mit der Öffnung an die Wand. Dann presste er sein Ohr an den Boden des Glases. Voyeure (oder eher Écouteure) wissen es ohnehin: Er hörte die Geräusche draußen auf dem Gang auf diese Weise fünfmal so laut. Er hörte fernen Straßenlärm, irgendwo war wohl ein Fenster geöffnet worden. Er hörte ein leises, sich wiederholendes Quietschen, das er nicht zuordnen konnte. OINGK OINGK . Sonst regte sich nichts. Das Rauschen des Badewasserhahns in der Suite nebenan brach plötzlich ab. Hörte er jetzt da draußen auf dem Gang einen Menschen atmen? OINGK OINGK . Oder bildete er sich das bloß ein? Jusuf sah auf die Uhr: Gute zehn Minuten waren inzwischen vergangen. Er atmete kräftig durch, dann riss er die Tür auf und brachte sich in Schussposition.
Seine Zenelli zielte auf einen blaubekittelten Mann, der gerade einen Schrubber in einem Kübel mit schmutzigem Wasser ausdrückte. Der Mann stand mit dem Rücken zu ihm und begann jetzt, die Glasscheibe des gegenüberliegenden Fensters langsam und sorgfältig zu reinigen. OINGK OINGK . Das Gesicht des Mannes spiegelte sich undeutlich im Glas, und Jusuf konnte
einen raschen Blick darauf erhaschen. Seine Kurzanalyse: Harmlos. Alarmstufe blassblau.
»Entschuldigung, haben Sie jemanden gesehen?«, fragte er den Mann vom Putzservice. »Jemanden, der an meiner Zimmertür geklopft hat?«
Er stellte den Glasbecher, den er immer noch in der Hand hielt, vorsichtig auf den Boden.
»Holen Sie das Geld aus Ihrem Zimmer«, sagte der Blaukittel, ohne sich umzudrehen und seine Arbeit am Fenster zu unterbrechen. »Geben Sie es in die Schmutztüte, die am Reinigungswagen hängt. Dann gehen Sie zurück und nehmen ein Bad, das mindestens eine halbe Stunde dauert.«
Es war ein ordentliches Bündel Dollarnoten, die Jusuf aus dem Zimmer holte. Aber er verdiente ja gut. Ohne sich umzusehen oder umzudrehen, zeigte der Mann im blauen Kittel auf das Glas, das immer noch am Boden stand.
»Guter Trick«, sagte er. »Aber den kannte ich schon.«
Als der Blaukittel hörte, dass die Tür wieder verschlossen worden war, unterbrach er sein OINGK OINGK und rollte den Putzwagen in die Besenkammer. Nach kurzer Zeit kam er wieder heraus, ein Beobachter hätte geschworen, dass es ein vollkommen anderer Mann war. Der vollkommen andere Mann verließ das Hotel und ging in Richtung der Pension Alpenrose.
»Wo ist er denn so lange gewesen, der Herr Problemlöser?«, sagte Shan.
»Ich habe auch noch andere Geschäfte. Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Auftrag hier so lange dauert.«
»Wir sollten den überschüssigen Beton noch entsorgen«, sagte Wong. »Gibt es dazu schon einen Plan?«
»Die vier Kübel Beton«, sagte Shan, »die könnten wir doch einfach vergraben.«
»Das ist mir viel zu unsicher, Freunde«, graunzte Swoboda. »Wenn die jemand findet, dann muss er sich doch die Frage stellen: Wer hat sich da die Mühe gemacht, vier Kübel Beton zu vergraben?«
»Wie wäre es mit einer romantischen Bootsfahrt um Mitternacht? Eine vierfacher Ballastabwurf in der Mitte des Walchensees?«
»Ihr immer mit eurer Bootsfahrt! Ich habe keine Lust, mich beobachten zu lassen, wie ich vier Kübel Beton in ein Boot verlade, in dem dann ein Mann und eine Frau wegrudern. Wie sieht denn das aus!«
»Was dann?«
»Wir lösen den Beton auf und schütten ihn weg, sicher ist sicher. Ich habe auch schon eine Einkaufsliste geschrieben.« Swoboda gab jedem einen Zettel, auf dem ein paar Zutaten standen.
»Calciumaluminathydrat?«, sagte Wong. »Was ist denn das? Da kann ich ja wohl im Kaufhaus nicht danach fragen.«
»Natürlich nicht. Ihr sucht alle Reinigungsmittel durch und kauft die mit dem größten Anteil an Calciumaluminathydrat. Und jetzt Abmarsch.«
Es klopfte an der Tür. Swoboda schlich zum Fenster, Wong griff nach seinem Gnadgott, Shan ging auf die Tür zu und stellte sich neben den Rahmen.
»Wer ist da?«, fragte sie.
»Margarethe Schober«, kam es von draußen.
Swoboda verschwand ins Nebenzimmer, Wong steckte sein Gnadgott wieder zurück, Shan machte die Tür auf.
»Bitte?«
»Frau Shan, ich will nicht weiter stören, ich habe nur eine Frage: Brauchen Sie die Tiefkühltruhe noch? Wissen Sie, der Sommer naht, und da ist es ganz praktisch, wenn man noch eine zusätzliche Tiefkühltruhe hat.«
Frau Schober trug eine jener bunten Kittelschürzen, von denen Woolworth vermutlich fünf Milliarden Stück hatte herstellen lassen.
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