Hochsaison. Alpenkrimi
so?«, fragte der ehemalige Student, an
dessen Namen sich Maria nicht mehr erinnerte. »Ich habe gehört, dass es dich in den Polizeidienst verschlagen hat? Ist da was dran?«
Das hatte ja kommen müssen. Maria, die Undercoveragentin, aufgeflogen bei ihrem ersten Einsatz in einem Laden, der da Bäckerei Krusti hieß. Die bajuwarischen Feldstudien-Objekte am Tisch rückten sichtbar von ihr ab.
»Setzen wir uns, da drüben ist frei«, sagte sie, um den Störenfried wenigstens von dem Tisch der Hiesigen loszueisen, die sich jetzt schon frech zuzwinkerten und
Da schau her!
und
Ja so was!
flüsterten.
»Ja, ich bin im Polizeidienst«, sagte sie, als sie saßen. »Und du?«
Sosehr sie in ihrem Gedächtnis kramte, sie konnte sich nicht an den Namen ihres Gegenübers erinnern. Egal. Die Seppls und Luckis dort drüben kicherten wie die kleinen Kinder.
»Ich hab das Studium abgebrochen«, sagte er. »Zu viele Statistiken und mathematische Berechnungen. Ich dachte, Psychologie wäre ein Blick in die Seele –«
Maria schaltete ab. Das war die übliche Klage aller Studienabbrecher: Erst wollte man einen tiefen schnellen Blick in die menschliche Seele, und im Vordiplom kamen dann die vielen Statistiken.
»Da, das haben Sie vergessen, Fräulein!«
Einer von den Einheimischen brachte ihr die Lageskizze mit den Schriftproben, die sie ganz vergessen hatte. Auch wenn der aktuelle Versuch vermutlich fehlgeschlagen war, konnte sie sich vorstellen, auf diese Weise Handschriftenproben eines ganzen Fußballstadions zu bekommen.
»– und jetzt habe ich eine Mediationspraxis hier im Ort aufgemacht. Mediation ist krisensicher. Wie Fußpflege. Konflikte gibt es immer. Ehestreit, Beziehungsstress, Sinnkrisen, Aufarbeitungen traumatischer Erlebnisse –«
Ihr Ex-Kommilitone plapperte munter weiter, warf dann einen kurzen Blick auf den Zettel.
»Aber ich sehe gerade, du willst dir den Ort anschauen. Interessierst du dich für das Skistadion? Wenn du willst, kann ich es dir zeigen.«
Er beugte sich noch weiter über die Skizze und die dazugehörigen handschriftlichen Notizen. Sie hatte keine Lust, mit ihm darüber zu reden oder sich etwas zeigen zu lassen. Ich muss dann wieder, wollte sie gerade sagen, war schön, dich gesehen zu haben, Mediation, achja, achso, das klingt ja interessant, vielleicht besuche ich dich mal in der Praxis – da kam der Gemeinderat Toni Harrigl herein und wurde von den anderen wiehernd begrüßt. Ihr Tischpartner redete weiter, aber Maria hatte die Fähigkeit erworben, Interesse zu heucheln und gleichzeitig an etwas anderes zu denken. Mit weit mehr als einem halben, mit einem fast ganzen Ohr hörte sie, was Toni Harrigl dort am Stehtisch zu sagen hatte. Der Gemeinderat hatte sie nicht gesehen, sie wusste nicht einmal, ob er sie überhaupt kannte. Es war Hochbetrieb in der Bäckerei, die Schlange am Tresen wuchs, die Tür ging dauernd auf und zu, schließlich kam auch noch der unvermeidliche Angerer herein. Er nickte Maria zu, er erkannte sie, spätestens jetzt war ihre Camouflage aufgeflogen.
»Ich muss dann wieder«, sagte ihr ehemaliger Kommilitone, er hatte ihre Zerstreutheit wohl bemerkt. »Tschüs. Vielleicht treffen wir uns mal. Ich schreib dir meine Nummer und Adresse auf.«
Willi Angerer trug heute keinen grünen Lodenmantel, auch die Gewehrhülle fehlte, man hätte ihn als Jäger gar nicht erkannt. Dieser Angerer, der freche Lügner, der behauptet hatte, nicht live beim Neujahrsspringen dabei gewesen zu sein, warum auch immer, war heute in Begleitung eine jüngeren Dame, einer Forstamtsanwärterin vielleicht, einer Försterstochter oder Jagdgehülfin. Angerer erzählte ihr jetzt etwas von Squaw Valley
und Oberstdorf. Der Laden füllte sich so, dass Maria dem Gespräch nicht mehr folgen konnte. Plötzlich machte Angerer, mitten in der Bäckerei, eine Standfigur.
»Karl Schnabl 1976?«, rief die Verkäuferin über den Tresen.
»Kazuyoshi Funaki 1998?«, riet die Forstamtsanwärterin keckernd.
»Nein, Willi Angerer, 1959«, sagte der. »In Oberstdorf, beim Ausscheidungsspringen für Squaw Valley –«
Der Rest ging im allgemeinen Gelächter unter.
Maria rührte noch eine Weile in ihrer Tasse, was ihr hier auf fremdem Terrain und inmitten all dem Lärm wenig Inspiration verschaffte. Sie steckte die Lageskizze in eine Klarsichthülle und verstaute sie sorgfältig in ihrem Rucksack. Von wegen Feldstudie vor Ort, von wegen: hinein ins pralle Leben. Abgesehen von der Erkenntnis, dass es ganz leicht
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