Hochsaison. Alpenkrimi
ungewohnt. Was gibt es so Wichtiges?«
»Habe ich Sie wirklich nicht gestört? Sie klingen so –«
»So was?«
»Lassen wirs gut sein. Wir haben einen Denkfehler begangen, das ganze Team. Das wollte ich Ihnen sagen.«
»Einen Denkfehler? Könnten Sie zur Sache kommen? Es ist gleich Mitternacht.«
»Maria ist sich sicher, dass die Schrift des Marders
nicht
verstellt ist. Sie hat fünfzig Schriftproben von Verdächtigen gesammelt, die
nicht
mit der des Marders übereinstimmten. Logische Schlussfolgerung daraus?«
»Der Marder ist
nicht
unter den fünfzig Verdächtigen.«
»Falsch. Das ist eben der Denkfehler. Wir sind wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass er die Bekennerbriefe mit verstellter Schrift schreibt. Es könnte aber auch anders sein. Handschriftliches spielt heutzutage doch nur eine untergeordnete Rolle – wann haben Sie das letzte Mal eine Nachricht oder einen Brief mit der Hand geschrieben! Wenn der Marder diese Anschlagsserie schon lange geplant hat, hat er sich sicher gut vorbereitet. Maria meint, er verhält sich wie ein großes Kind. Vielleicht hat er im Alltagsleben schon seit Monaten seine Schrift verstellt. Deshalb konnte er es sich leisten, die Bekennerbriefe mit seiner ganz normalen Schrift zu schreiben.«
»Warum sollte er das tun?«
»Damit sich unsere Schriftsachverständigen die Zähne daran ausbeißen.«
»Ich verstehe. Dann müssten wir prüfen, ob sich unter den Schriftproben, die Maria eingesammelt hat, verstellte Schriften befinden?«
»Genau, Chef.«
»Gut gemacht, Nicole.«
»Äh, eines noch, Chef: Was ist das denn für ein neuer Klingelton?«
»Es ist ein Satz aus meinem Lieblingsfilm. Gute Nacht, bis morgen dann.«
49
Zur selben Zeit war im
Ochsenstüberl
noch einiges los. An einem der hinteren Tische wurde gekartelt, dumpf brüteten dort ein paar Spieler vor sich hin, einer pfefferte einen Trumpf auf den Tisch, darauf gleich noch einen zweiten. Doch sie spielten weder Schafkopf noch Watten, sie spielten ihr eigenes, unergründliches Spiel. Kein Kiebitz hatte es bisher geschafft, die Regeln zu durchschauen. Vielleicht handelte es sich um die bayrische Variante des altrömischen Kartenspiels, das die beiden Legionäre damals auf dem Kalvarienberg unter dem Kreuz gespielt hatten.
»Schmack!«, sagte einer der Kartler und warf sein Blatt in die Mitte.
»Hat der einen Schmack! So was«, murmelte der andere.
An den anderen Tischen im Ochsenstüberl ging es erheblich lauter zu. Am Stammtisch zum Beispiel saß Gemeinderat Toni Harrigl und führte das Wort.
»Das volle Chaos, das sag ich euch. Wenn der Mirgl nicht gewesen wäre! Da stünden wir jetzt anders da. Dann wäre das Ganze in die internationale Presse gekommen. Mit ungeahnten Auswirkungen. Prost Mirgl.«
Er stieß mit dem Feuerwehrhauptmann an, der beugte sich leicht zu ihm vor.
»Aber sag einmal, Harrigl, ich hab dich nirgends gesehen. Wo warst du denn bei der Suchaktion?«
»Außerhalb war ich eingesetzt. Auch so eine Fehlentscheidung
von diesem Kommissar Jennerwein. Den ortskundigsten Mann ausgerechnet am Ortsrand einzusetzen! Aber ich habe mitgemacht. Sogar im
Pinocchio
war ich.«
»Verkaufen jetzt die Italiener auch schon Weißwürste?«
»Seit der EU -Erweiterung tut der Italiener doch alles Mögliche auf seine Pizza!
Pizza con salsiccia bianca
gibt’s im Pinocchio, und ich kann euch sagen: Da haben wir einige beschlagnahmt.«
Im Ochsenstüberl hatte der Weißwurst-Vergifter den Schachenteufel thematisch verdrängt. Der Schlossermeister Wollschon gab gerade eine Runde aus.
»Weil alles gerade noch einmal gutgegangen ist beim Anschlag!«
»Das kannst du laut sagen, Wolli!«
Wolli Wollschon war Mitglied beim Volkstrachtenerhaltungsverein, und er war deshalb, zusammen mit dem Schuhplattler Kumpfsaitl,
der ersten Angriffslinie zugeteilt worden.
»Ich gehe mit dem Kumpfsaitl in die Metzgerei Bröckl. Im Hinterzimmer kochen zweihundert Weißwürste im Kessel. Vernichten! Vernichten!, hab ich geschrien, sofort alles vernichten! Da nimmt sich der Kumpfsaitl seelenruhig eine Wurst heraus und frisst sie. Ja spinnst du!, schreie ich. Wird schon nicht grade die vergiftete sein, sagt er. Der Kumpfsaitl. Da erlebst du was bei so einem Katastropheneinsatz! Mein lieber Schwan.«
Neben dem Schlossermeister saß der Dorfmediator und Konfliktforscher Manfred Penck.
»Was sagst dann du als
Gstudierter
dazu?«, fragte ihn der Glasermeister Pröbstl. Von einem siebengescheiten Akademiker wurde
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