Hochsaison. Alpenkrimi
Wahrscheinlichkeit. Sagen Sie jetzt nichts, Stengele.«
»Ich sage ja gar nichts. Aber was bringt uns das, Maria?«
»Ich habe in den letzten Tagen von allen Zeugen, Verdächtigen und Halbverdächtigen, von allen, die mit diesem Fall irgendwie zu tun hatten, Schriftproben eingesammelt. Ich habe sie ihnen manchmal abgeluchst: Den heldenhaften Feuerwehrhauptmann Mirgl beispielsweise bat ich um einen Sinnspruch ins Poesiealbum meiner angeblichen Nichte. Andere Schriftproben habe ich gleich frei Haus geliefert bekommen, wie bei den Aufsätzen der Raskolnikoff-Gang. Bei der Verdächtigengruppe ›Stammtisch pensionierter Polizisten‹ gab es alte handgeschriebene Protokolle, und – vergessen Sie es alle gleich wieder – in zwei Fällen habe ich bei der Bank nachgefragt und die Proben bekommen.«
»Und, was ist dabei herausgekommen?«
»Ich habe inzwischen an die fünfzig Schriftproben, von Haupt- und Nebenfiguren, von mehr oder weniger Verdächtigen.
Keine einzige stimmt nur im Entferntesten mit der Handschrift in den Bekennerbriefen überein. Keine einzige! Wissen Sie, was das heißt?«
»Das heißt leider, dass wir den Sack nicht zuschnüren können. Dass unser Marder sich außerhalb des ohnehin schon großen Kreises von Verdächtigen befindet.«
Jennerwein massierte seine Stirnlappen in der bekannten Weise. Er hatte das ganz feste Gefühl gehabt, dass sich der Täter innerhalb des Kreises befand. Sie alle waren der Meinung gewesen, dass sie ihn schon gesehen, gehört, gesprochen hatten, ihm vielleicht schon die Hand gedrückt hatten. Sie waren fest davon überzeugt gewesen, dass sich die Schlinge in Kürze zugezogen hätte. Besonders Kommissar Jennerwein war sich ziemlich sicher gewesen. Man verabschiedete sich gedrückt.
Jennerwein ließ sich von Maria in das Gästehaus Edelweiß fahren. Er verabschiedete sich knapp und ging in sein Zimmer. Er konnte ein unbestimmtes Gefühl der Bedrohung nicht abschütteln. Er war rundherum unzufrieden. Auch die Laserspur konnte er nicht so richtig weiterverfolgen. Er hatte einfach nicht genug Beamte zur Verfügung, um alle Hotelbalkone und Gästehausterrassen abzusuchen, von denen man den Beschuss Sørensens mit so einem Gerät durchführen hätte können. Er knipste das Licht aus.
Mitten in der Nacht schreckte er auf. Irgendwo im Raum war ein Geräusch zu hören gewesen, das nicht hier hinpasste. Er wusste nicht mehr, was er geträumt hatte, aber es war nichts Bedrohliches gewesen, er hatte das Geräusch nicht geträumt, es war hier im Zimmer erklungen, er konnte es jetzt nachträglich lokalisieren, es war vom Fußende des Bettes her gekommen. Ohne nachzudenken griff er zu seiner Dienstwaffe, die auf dem Nachttisch lag. Er tappte im Dunkeln danach, er wusste, wo sie lag, er bekam sie auch gleich richtig zu fassen. Es war
vollkommen dunkel im Raum, nur ein Fenster stand offen, die weiße Gardine blähte sich undeutlich im Wind. Sein Zimmer lag im Erdgeschoss.
»Wer steigt schon bei einem Kriminalhauptkommissar ein!«, hatte er noch mit der Dame an der Rezeption gescherzt.
Er versuchte, seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Keine Chance, er musste sich auf sein Gehör verlassen. Seine rechte Hand lag auf dem Nachttisch, sie hielt die Pistole fest umschlossen. Beim nächsten Geräusch würde er sie in die Richtung bringen, aus der er das Geräusch gehört hatte. Gleichzeitig würde er mit der anderen Hand die Nachttischlampe anschalten. Oder sollte er beides jetzt schon machen, um dem Eindringling einen Schritt voraus zu sein? Es war nicht viel Zeit vergangen, seit er das Geräusch gehört hatte, vielleicht eine halbe Minute. Jetzt war er hellwach. Er versuchte darüber nachdenken, was für ein Geräusch es gewesen war. Er hatte diesen Klang in den letzten Tagen doch schon einmal gehört. Wann hatte er ihn gehört? Heute? Nein: gestern, während der Fahrt im Ortsbus. Was hatte er da gehört? Was hatte er da gemacht? O du meine Güte.
Jennerwein entspannte sich, nahm die Hand von der Dienstpistole und schaltete die Nachttischlampe an. Er ging zum Fußende des Bettes, über dem seine Jacke hing. Er nahm sein Mobiltelefon heraus und wählte die Nummer Nicoles.
»Ja, Chef.«
»Haben Sie mich gerade angerufen?«
»Ja, ich habe es nur einmal klingeln lassen, dann habe ich aufgelegt. Weil es schon so spät ist. Habe ich Sie gestört?«
»Nein, es ist nur so, dass – ich mir gestern einen neuen Klingelton – heruntergeladen habe – der ist noch etwas
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