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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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und Shan pirschte nicht an die Tür, sondern schlenderte entspannt hin.
    »Entschuldigen Sie die frühe Störung«, sagte Frau Schober, als Shan ihr öffnete, »aber ich habe bemerkt, dass Sie schon wach sind. Ich wollte etwas mit Ihnen besprechen.«
    Selbstverständlich zelebrierte sie dazu die dreiviertelte Blautannenverbeugung. Als sie sich wieder aufrichtete, lugte sie ins Zimmer, in Richtung von Wong, der da am Fenster stand und die Übung
Der Affe staunt über den fallenden Schnee
machte.
    »Ist mit der Kühltruhe etwas nicht in Ordnung?«, fragte Shan. »Wir haben versucht, sie sauber zu machen, so gut es eben geht.«
    »Nein, die Kühltruhe ist schon in Ordnung. Da ist etwas anderes.«
    Frau Schober druckste herum. Shan bat sie ins Zimmer. Als die Direktrice auf dem Sofa saß, irrten ihre Augen zwischen Shan und Wong hin und her. »Ich meine, Sie sind wirklich gute Gäste. Sie bezahlen Ihre Miete im Voraus, es geht mich auch nichts an, warum sie zuerst nur eine Woche bleiben wollten und nun schon ein paar Monate da sind. Ich habe auch nie gefragt, wo der ernsthaft dreinblickende junge Mann geblieben ist, der am Anfang auch hier gewohnt hat. Es geht mich auch nichts an, dass Sie inzwischen einen anderen Freund gefunden haben.«
    Shan und Wong sahen sich kurz an. Hatte Frau Schober etwas von Swoboda bemerkt? Hatte sie seine schier unglaublichen Verkleidungs- und Tarnkünste durchblickt?
    »Was meinen Sie?«, fragte Shan. »Wir wissen nicht, wovon sie sprechen.«
    »Ich meine diesen anderen Herrn, der kein Chinese ist, und der so gerne Perücken trägt. Gut, auch das geht mich nichts an. Wenn jemand gerne Perücken und Frauenkleidung trägt, dann ist es halt so. Da gibt es ganz andere Sachen. Was ich Ihnen da erzählen könnte von meinen Gästen! Von Herrn Ministerialdirigent
Brömse und seiner Frau zum Beispiel. Was die für Vorlieben haben! Da ist das mit ihrem Freund ja noch harmlos. Aber ich bitte Sie, diskret zu sein. Der gute Ruf meines Hauses –«
    »Sie müssen sich irren. Wir kennen niemanden, auf den Ihre Beschreibung zuträfe.«
    Die Direktrice stand auf und machte, rückwärtsgehend, mehrmals die Blautanne.
    »Natürlich nicht. Ich wollte nicht weiter stören. Das Privatleben meiner Gäste ist für mich tabu, glauben Sie mir. Ob Frauenkleider oder nicht. Aber weil ich schon mal da bin. Wie wollen Sie die Frühstückseier? Anderthalb Minuten?«
    »Natürlich. Wie immer. Und den Tisch am Fenster.«
     
    Nachdem Frau Schober gegangen war, waren alle zunächst vollkommen fassungslos. Niemand hatte eine Bedrohung aus dieser Richtung erwartet. Karl Swoboda kam wieder aus dem Nebenzimmer.
    »Die Augen«, sagte er. »Sie hat mich an den Augen wiedererkannt.«
    »Langsam wird der Herr Problemlöser selbst zum Problem«, sagte Shan.
    »Kusch!«, sagte Swoboda. »Die Frau Schober ist eine, die auf die Augen schaut. Das findet man ganz selten. Die meisten schauen auf das, was man ihnen zeigt. Man gibt ihnen Stereotype, und sie nehmen die Sterotype. Sie lassen sich vom äußeren Erscheinungsbild blenden und merken sich keine Details. Diese Frau Schober habe ich unterschätzt. Sie hat mir in die Augen gesehen! Wirklich erstaunlich.«
    Shan hatte ihre Tai-Chi-Übungen beendet und lockerte sich. Aus der gelockerten Haltung heraus sagte sie in scharfem Ton:
    »Ich mag es nicht, wenn die unberechenbaren Faktoren überhandnehmen. Was ist eigentlich mit dem Arzt, den wir mit
viel Mühe beseitigt haben? Was hat das für einen Sinn gehabt, wochenlang an einer aufwändigen Legende zu bauen, Papiere zu fälschen, Gelder zu verschieben – wenn dieser Kommissar Jennerwein das Lasergewehr nicht findet!«
    »Warum er das nicht gefunden hat, das ist mir auch unerklärlich. Manchmal geht halt was schief.«
    »Beim Herrn Problemlöser geht mir langsam zu viel schief.«
    »Ihr müsst ja grade reden. Ich kann jederzeit wieder fahren. Dann wird es halt nichts mit Chaoyang 2018. Und dann habt ihr beiden wirklich ein Problem. Ein lebensgefährliches Problem.«
    »Beruhigung.«
    »Ist schon gut. Dann können wir dem Dr. Steinhofer den Neujahrsanschlag halt nicht in die Schuhe schieben, dann müssen wir es jemand anderem in die Schuhe schieben. Und ich habe das feste Gefühl, das wird der Trittbrettfahrer sein. Aber dazu müssen wir ihn erst fassen, Freunde.«
     
    Shan und Wong gaben nach und hörten geduldig zu.
    »Ich habe diesen Burschen, diesen trittbrettfahrerischen, direkt vor Augen. Vor Augen ist der falsche Ausdruck – ich

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