Hochsaison. Alpenkrimi
weiß nicht, wie er ausschaut, aber ich weiß, wie er gestrickt ist. Es ist einer aus dem Ort, da bin ich mir sicher. Ich brauche jetzt jemanden, der die Einwohner des Ortes aus dem Effeff kennt. Ich brauche jemanden, dem ich meine Vorstellung, meine Silhouette zeige, und der dann sagt: Ja, so wie du ihn beschreibst – das kann nur der oder der sein.«
»Und wer soll das sein?«
Karl Swoboda wusste, wer das sein könnte. Oder besser gesagt: welche
beiden
das sein könnten.
51
Polizeiobermeister Ostler, dem die Schmach des beschrifteten Schaukastens vor dem Polizeirevier immer noch nachhing, schlug einen schärferen Ton an.
»Auf den Gedanken, bei uns anzurufen, sind Sie wohl nicht gekommen?«
Der Fahrer des Ortsbusses drehte mit den Händen verlegen an seiner Uniformmütze herum. Einerseits hatte er Respekt vor Ostler, andererseits war er sich keiner Schuld bewusst:
»Gerade, wenn s
o
einer einsteigt, da denkt man doch nicht, dass mit dem etwas nicht in Ordnung ist. Ich hab mir halt gedacht, dass sich der unsere schöne Gemeinde vielleicht ein bisserl anschauen wollte.«
»Fünfmal hintereinander? Immer dieselbe Strecke?«
»Ich habe mir gedacht, so ein arabischer Tourist, der von daheim her nur Sand und Kamele kennt, der fliegt morgen vielleicht wieder nach Hause, und darum will er sich heute noch die schöne grüne Landschaft im Werdenfelser Tal einprägen.«
»Ja freilich, und da hat er das größte Kamel vorne im Führerhäuschen vom Ortsbus sitzen sehen! Ist es Ihnen denn nicht aufgefallen, dass ihr Fahrgast offensichtlich unter Drogeneinfluss stand?«
»Ja, ein bisserl einen Suri hat er schon gehabt, wie ich zu ihm hingegangen bin. Aber ich habe mir gedacht, solche Araber, die dürfen ja bekanntlich nichts trinken daheim. Da hat er vielleicht, an seinem letzten Tag hier in Bayern, noch ein paar Mass
Bier gezischt, um sich die Werdenfelser Landschaft entspannter anzuschauen.«
»Haben Sie denn wenigstens denjenigen gesehen, der ihn in Ihren Bus geschleppt hat?«
»Ja, im Rückspiegel, aber nur schemenhaft.«
»Können Sie ihn beschreiben?«
»Ich bin Ortsbusfahrer, und kein Privatdetektiv.«
»Irgendein Anhaltspunkt? Frau? Mann? Schwarz? Weiß? Groß? Klein?«
»Na ja, was heißt groß, was heißt klein? Das ist alles relativ. Es war halt so eine mittlere Gestalt.«
»Na servus. Es war eine mittlere Gestalt. Kreizkruzifix! Ich werde auch Angestellter im öffentlichen Dienst! Da hat man es einfach.«
Johann Ostler riss das Blatt aus der Schreibmaschine und hielt es dem Busfahrer zum Unterschreiben hin.
»Ja, Sie müssen mich aber auch verstehen«, maunzte der Busfahrer, als er unterschrieben hatte. »Das sage ich jetzt außerhalb des Protokolls. Da kommt ein Araber und hat was getrunken. Und da kann ich doch nicht hingehen und sagen: Sie, jetzt steigen Sie bitte aus, Sie sind mir irgendwie verdächtig. Der verklagt mich am Ende noch wegen Diskriminierung. Ja, zugegeben: Ich habe natürlich heimlich hingeschaut, in meiner Eigenschaft als Angestellter im öffentlichen Dienst, an die Stelle, wo normalerweise der Sprengstoffgürtel – aber ich kann doch nicht sagen: Bitte, ziehen Sie einmal Ihre Jacke hoch! Ist das Ihre Wampe oder ist das ein Sprengstoffgürtel? Aha, danke, in Ordnung, nächster Halt Farchant. Was meinen Sie, was da morgen in der Zeitung steht! Wie schnell ist man nach Nürnberg strafversetzt! Also habe ich mich wieder ans Steuer gesetzt, bin die Route fünfmal gefahren, dann war Dienstschluss. Und jetzt bin ich da.«
»Ja gut, ich habe Ihre Aussage aufgenommen. Und fahren
Sie Ihren Bus bitte ganz schnell wieder weg. Der verstellt uns ja den ganzen Parkplatz.«
Der Fahrer des Ortsbusses trollte sich schimpfend. Dem Aussehen nach zu urteilen konnte das Häuflein Elend, das an der Wand lehnte, wirklich ein Araber sein, doch die Personalien festzustellen war nicht möglich: Der Mann wirkte desorientiert und war nicht ansprechbar. Ostler und der herbeigerufene Hölleisen griffen ihm dezent in alle Taschen. Der Unbekannte ließ sich das gefallen, sie fanden jedoch keinerlei Ausweispapier. Sie setzten ihn auf das hölzerne Wartebänkchen. Dort saßen normalerweise Parksünder, die wissen wollten, wohin ihre Autos abgeschleppt worden waren, und dass sie doch nur zwei Minuten, eigentlich bloß ein paar Sekunden – Der eventuelle Araber schwieg weiterhin, er schien sich in einer anderen Welt zu befinden. Seine Augen weiteten sich manchmal so, als sähe er etwas Erstaunliches
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