Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
einberufen. Kepplinger hielt es für angebracht, das gesamte Kollegium auf den aktuellen Stand zu bringen. Nachdem alle Platz genommen hatten, richteten sich die Blicke auf ihn. Brandstätter saß teilnahmslos auf seinem Stuhl. Kepplinger war unsicher. Als Neuling die Sonderkommission zu leiten, fiel ihm immer noch schwer. Doch schließlich berichtete er von seiner Begegnung mit Susanne Jessen und welchen Wert er ihrer Aussage zurechnete. Anschließend sah er sich genötigt, ein Zugeständnis zu machen. »Ich habe mich in Gerd Jessen getäuscht. Nach unserem ersten Gespräch war ich der Überzeugung, dass er nichts mit dem Verschwinden seiner Tochter zu tun hat. Jetzt weiß ich, dass er ein Mann mit vielen Gesichtern ist. Mir gegenüber hat er geschworen, er habe Manuela nie Gewalt angetan. Seine Exfrau konnte uns glaubhaft vom Gegenteil überzeugen. Also lügt er. Ich weiß nicht, ob er es tut, um sich zu entlasten oder nur, um einen letzten Rest von Würde zu bewahren. Aber wir wissen, dass er trinkt und im Suff gewalttätig wird, unbeherrscht auf andere einprügelt und Autos zerkratzt.«
Im Raum war es still geworden. Wolfgang Herder räusperte sich.
»Soll das heißen, dass du ihn jetzt für den Täter hältst?«
»Das habe ich nicht gesagt. Aber er ist nicht der, für den ich ihn gehalten habe. Er könnte der Täter sein. Genauso gut könnte er nicht der Täter sein. Aber er ist unberechenbar. Deshalb sollten wir ihn im Auge behalten.«
»Wie wäre es, wenn wir seiner Freundin erneut einen Besuch abstatten?«, erkundigte sich Markus Ackermann. »Bisher haben wir nur die Aussagen seiner Kegelfreunde, und wir wissen nicht, ob sie sich abgesprochen haben.«
»Das halte ich für eine gute Idee«, sagte Kepplinger. »Wobei ich nicht glaube, dass es eine Absprache gab. Jessen war in den Bergen, und zwar ohne seine Tochter. Unklar ist nach wie vor, wo er sich am Freitagmittag vor der Abreise aufgehalten hat. Darum kümmere ich mich als Nächstes. Wir müssen ihn im Auge behalten, dürfen uns aber auch noch nicht zu sehr auf ihn fokussieren. Noch sollten wir für alle Möglichkeiten offen sein.«
»Lars Kaufmann?«, sagte Salvatore.
»Zum Beispiel. Oder einen unbekannten Dritten, von dem wir bisher nichts wissen.«
Lea betrat den Raum und verteilte Kopien der Faxnachricht.
Es entbrannte eine hitzige Diskussion darüber, warum Lars Kaufmann in dem Fall mit dem siebenjährigen Mädchen lediglich eine Bewährungsstrafe erhalten hatte.
»So einer hat in unserer Gesellschaft nichts verloren«, brummte Wolfgang Herder. Brandstätter pflichtete ihm bei. »Sieht man ja jetzt, wozu der fähig ist.«
Moritz Kepplinger ärgerte sich darüber, wie das Thema abzudriften drohte und lenkte die Debatte wieder auf die wesentliche Frage zurück.
»Entscheidend ist doch im Moment, ob Kaufmann etwas mit dem Verschwinden von Manuela Jessen zu tun hat«, sagte er energisch. »Darüber sollten wir sprechen.«
Die Diskussion brach augenblicklich ab.
»Accidenti! Kaufmann ist die einzige heiße Spur, die wir bislang haben«, sagte Salvatore.
Wieder trat eine betretene Stille ein.
»Ich hab auch noch was.« Christian Schwarz, dessen rechte Wange immer noch so geschwollen war, als hätte ein ganzer Bienenschwarm hineingestochen, legte eine Plastiktüte in die Tischmitte. Darin befand sich ein Gegenstand, der wie ein verkohltes Steak aussah. Die Kollegen sahen ihn fragend an.
»Das hat heute Morgen ein Bauer vorbeigebracht und eine seltsame Geschichte dazu erzählt«, sagte er sichtlich bemüht, die Lippen wegen der Zahnschmerzen nicht allzu weit zu öffnen.
»Hat es etwas mit unserem Fall zu tun?«, erkundigte sich Markus Ackermann.
»Ich weiß es nicht. Der Mann hat eine Landwirtschaft in einem der Seitentäler von Geislingen. Er heißt Karl Herrmann Molnar. Er sagte, er hätte eine Scheune verpachtet an einen gewissen Erich Sander.« Christian Schwarz blätterte in seinem Notizbuch. »Sander wohnt in Geislingen und handelt mit Industriekaffeemaschinen. Molnar sagte, Sander würde sich in letzter Zeit verdächtig verhalten.«
»Inwiefern?«, wollte Kepplinger wissen.
»Er würde seit ein paar Wochen beinahe jeden Tag in der Scheune aufkreuzen und sich darin zu schaffen machen. Das hätte er zuvor nie getan.«
»Was tut dieser Sander denn dort?«, fragte Salvatore Falcone.
»Er weiß es nicht. Molnar sagt, dass er sich Anfang der Woche einmal umgesehen habe. Er hatte sich deswegen gewundert, weil in der Scheune nichts sei.
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