Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
sinnlos. Er ist der Meinung, dass ich Manuela nicht richtig erziehen würde.«
»Aber das ist doch Blödsinn«, unterbrach Lea sie unsanft.
Kepplinger war im Begriff, das Gespräch abzubrechen, als Susanne Jessen erneut zu sprechen begann.
»Sie haben recht, und es wäre auch bald vorbei gewesen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Mein Anwalt hat darauf gedrängt, ihm das Sorgerecht zu entziehen. Vor ungefähr drei Monaten habe ich eingewilligt. Anfang Oktober entscheidet das Vormundschaftsgericht darüber. Er hat so gut wie keine Chance.«
»Das bedeutet, dieses Wochenende wäre eines der letzten gewesen, das Manuela mit ihrem Vater gehabt hätte?«, folgerte Lea.
»Das stimmt. Normalerweise hätte sie die Hälfte der Sommerferien bei ihm verbracht. Aber sie war bereits in den Osterferien und an Pfingsten mit ihm zusammen gewesen. Das hatten wir so abgesprochen.«
Jetzt deutete Alexander Giebel mit einem Blick auf die Uhr an, das Gespräch zu beenden. Kepplinger nickte. Doch plötzlich fiel ihm noch etwas ein, das ihn im Gespräch zuvor stutzig gemacht hatte.
»Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen noch eine letzte Frage stelle.« Der Arzt schüttelte energisch den Kopf und sah ihn verärgert an. Susanne Jessen bemerkte seine Reaktion.
»Fragen Sie doch.«
»Sie sagten vorhin, Ihr Mann sei ein aggressiver Mensch geworden . Wie haben Sie das gemeint?«
Susanne Jessen legte den Kopf zur Seite und sah aus dem Fenster.
»Als ich ihn kennengelernt habe, war er so anders als all die Männer, die ich davor gekannt hatte. Er hat mir Gedichte geschrieben und sich die verrücktesten Überraschungen einfallen lassen. Einmal sind wir samstagabends nach Venedig gefahren. Nur um auf dem Markusplatz zu frühstücken, eine Gondelfahrt zu machen und wieder aufzubrechen, damit wir am Montag pünktlich bei der Arbeit waren.« Sie redete, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen. »Ein paar Jahre bevor Manu geboren wurde, passierte etwas, worüber ich nicht sprechen möchte. Verstehen Sie mich nicht falsch, Gerd hat nichts Böses getan, aber von da an war er wie ausgewechselt. Er begann zu trinken. Immer mehr. Immer öfter. Ich hatte die ganze Zeit gehofft, es würde eines Tages wieder so sein wie früher.«
Sie begann zu schluchzen. Alexander Giebel reichte ihr ein Taschentuch.
»Ich glaube, jetzt ist es genug. Sie müssen sich ausruhen.« Susanne Jessen nickte.
Sie verabschiedeten sich. Nachdem sie den Raum beinahe verlassen hatten, begann Susanne Jessen erneut zu weinen.
»Bitte finden Sie meine Tochter.«
Kepplinger drehte sich um und sah ihr in die Augen. »Ich verspreche Ihnen, dass wir alles dafür tun werden.«
Später dachte er oft an diesen Satz. Dabei hatte er immer das Bild von Monet vor Augen, der nach den beiden Staroperationen sein Augenlicht zurückerlangt hatte und wieder malen konnte.
Auf der Dienststelle überreicht ihm Franziska ein Fax der Stuttgarter Kriminalpolizei. Wie erwartet hatte das Gericht Untersuchungshaft angeordnet. Lars Kaufmann war in die Justizvollz ugsanstalt Stammheim überführt worden und lag dort in der Krankenabteilung. Die Schussverletzungen am Oberschenkel hatten sich als unkompliziert erwiesen, und die Ärzte hatten einer Vernehmung am nächsten Tag zugestimmt. Dem Schreiben nach schwieg er bislang zu allen Vorwürfen und hatte zwei namhafte Rechtsanwälte mit seiner Verteidigung beauftragt.
Lea und Moritz sollten am nächsten Tag zu einer Zeugenvernehmung erscheinen. Außerdem baten die Kollegen darum, den Vorfall bis zum Abschluss der Spurenauswertung nicht an die Presse weiterzugeben. Moritz reichte Lea das Schreiben, griff nach einer Tasse und drückte auf den Knopf der Kaffeemaschine. Er musste gähnen. Die Müdigkeit breitete sich in seinem Körper aus wie ein Gift. Außerdem hatte er Hunger. So wenig wie in den vergangenen drei Tagen hatte er lange nicht gegessen.
Er ging auf die Toilette und betrachtete sich im Spiegel. Dann ließ er kaltes Wasser über sein Gesicht laufen. Er hoffte, dass man ihm die Strapazen nicht anmerkte. Mit dem Kaffee machte er sich auf den Weg ins Besprechungszimmer. Dort erkundigte er sich nach den restlichen Telefonlisten.
Die Kollegen hatten am Nachmittag keine weiteren Auffälligkeiten festgestellt. Die Rufnummer, mit der Lars Kaufmann telefoniert hatte, gehörte einem Anschlussinhaber in Leipzig. Die zuständige Polizeidienststelle war informiert. Der Mann würde im Laufe des Tages vernommen werden. Anschließend wurde eine Besprechung
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