Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hochzeit auf Raten

Hochzeit auf Raten

Titel: Hochzeit auf Raten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Georg Kaufmann
Vom Netzwerk:
beschleunigte.
    »Es ist eine Qual!« stöhnte sie.
    »Durch deine Schuld«, gab ich zurück. »Du hast nicht das geringste Einfühlungsvermögen.«
    »Einfühlungsvermögen«, fauchte sie. »Ein Nilpferd besitzt mehr Taktgefühl als du.«
    »Ich tanze mit Verstand«, sagte ich gekränkt.
    »Mit den Beinen wäre es mir lieber.«
    Mit einem leisen Aufschrei ging sie in die Knie. Sie war mit ihrem Hinterteil an eine Tischecke geraten.
    »Schluß!« sagte sie aufgebracht. »Endgültig Schluß! Tanze, mit wem du willst, nur nicht mit mir!«
    Damit ließ sie mich auf dem Parkett stehen. Es war eine Schmach.
    Schon wollte ich beleidigt aufs Zimmer, um wieder einmal die Koffer zu packen, als mich eine Woge glühenden Trotzes überflutete. War sie etwa die einzige, mit der ich mich amüsieren konnte? Hatten nicht andere Frauen meine Tanzkunst gepriesen? Sie sollte sehen, wo sie blieb! Ich war ein Mann, dem die Welt offen stand. Man konnte mich nicht in die Ecke stellen wie einen ausgedienten Regenschirm. Nein, mich nicht!
    Kaum hatte ich ausgedacht, ging eine zweite Woge über mich hinweg. Diesmal war es ein unendliches Glücksgefühl. Ich dachte daran, daß ich am Blinddarm operiert worden war und trotzdem heute noch lebte. Ich erinnerte mich an meinen Autounfall, der mich beinahe gezwungen hätte, die Städtische Begräbnisanstalt zu beschäftigen. Mir fiel ein, wie köstlich ein Glas frischen Wassers an einem heißen Sommertag mundet, wie warm ein Kamin in einer stürmischen Winternacht ist und wie traumhaft blau Himmel und Meer in Neapel sind.
    Nein, mich nicht! Ich war kein Regenschirm!
    Mit der Entschlossenheit eines Weltraumfahrers stürzte ich mich auf Frau Bertram, die unbeschäftigt neben ihrem Gatten saß, der noch immer aus seinem Leben erzählte.
    Mit gesträubten Haaren wirbelten wir in den ersten Kreis eines Straußschen Walzers, während Frau Bertrams Busen vertrauensvoll an meiner Krawatte ruhte. Menschen, Tische und Stühle rollten an uns vorbei. Immer schneller, immer schneller, immer verschwommener. Nur ihre Augen hielten still, die ungläubigen, erschrockenen Augen einer Frau, die mit einem Mehlsack verheiratet ist.
    Donnernder Applaus.
    Mich mit beiden Händen an Frau Bertram festhaltend, stellte ich fest, daß der Walzer zu Ende war. Zu Ende? Hol's der Henker, die Tische und Stühle tanzten weiter. Auch der Lüster und der Kellner, der sich vergeblich mühte, mit zwei vollgefüllten Gläsern an uns heranzukommen.
    Jäh erkannte ich, daß wir allein auf der Tanzfläche waren. Die anderen standen im Kreis um uns und klatschten. Wir hatten eine Einzelvorstellung gegeben.
    »Meine Damen und Herren«, hörte ich mich sagen, während es mir endlich gelang, des tanzenden Kellners habhaft zu werden, »wir danken für Ihre Ovationen. Prost!«
    »Prosit! Prosit! Prosit!«
    Die Gläser klangen aneinander. Alle lachten. Am lautesten lachte der Segelbootfahrer.
    Mich nicht! Nein, mich nicht!
    Und dann, das leere Glas in kühnem Bogen schwenkend, mit erhobener Stimme: »Kapellmeister, einen Csárdás! Eljen!«
    Eljen!
    Schwermütig setzte die Musik ein, zunächst langsam, dunkel, dann immer ausgelassener und feuriger.
    »Eljen!«
    Ich riß mir den Rock vom Leib und schleuderte ihn in die jauchzende Menge. Dann begann ich, die Hände in die Hüften gestemmt, den Boden im Takt zu stampfen und die Augen zu rollen. Dabei stieß ich einen Schwall von Flüchen hervor, die einzigen Vokabeln, die ich vom Ungarischen beherrschte.
    War nicht meine Urgroßmutter eine Ungarin gewesen? Eljen! Erfüllte ich nicht eine nationale Ehrenpflicht, wenn ich den Leuten zeigte, was ein richtiger Muladsag war? Eljen! Hatte ich nicht selbst Paprika im Blut? Eljen!
    Mit meinem letzten Rest Atem lieferte ich unter den dröhnenden Eljen-Rufen der Gäste ein grandioses Finale, das ich mit einem Sprung auf das Klavier beschloß, wo ich in eindrucksvoller Pose verharrte.
    Der Saal ähnelte einem Tollhaus. Frau Bertram fiel vor Begeisterung in Ohnmacht und nahm ihren Gatten mit. Der Segelbootfahrer, dem man die Brille von der Nase gestoßen hatte, kroch auf allen vieren unter den Tisch. Und die übrigen brüllten, als hingen sie samt und sonders am Marterpfahl. Nur Isabell ragte starr und stumm wie eine Marmorsäule aus dem Gewimmel und betrachtete mich wie weiland die sterbende Elsa ihren auf Nimmerwiedersehen entschwindenden Lohengrin.
    Mich nicht! Nein, mich nicht! Ich war kein Regenschirm!
    Ein besonders Eifriger drückte mir eine Krone aufs

Weitere Kostenlose Bücher