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Hochzeit auf Raten

Hochzeit auf Raten

Titel: Hochzeit auf Raten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Georg Kaufmann
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Haupt, von der sich später herausstellte, daß es der Entlüfter aus der Toilette war.
    Also angetan, mischte ich mich unter die Musiker, indem ich mich vor jedem höflich verbeugte. Dann zückte ich die Brieftasche, griff wahllos hinein und warf, während ein Tusch mein Trommelfell zu zersprengen drohte, ein Bündel Banknoten in die Luft. Eljen!
    Die nächste Station war die Theke an der Hausbar. Ich bestand darauf, alle, die meine Freunde sein wollten und in meiner Umgebung Platz fanden, freizuhalten. Und ich hatte sehr viele Freunde. Und sie fanden alle Platz. Am wenigsten Platz hatte ich selbst, der ich schwer atmend inmitten des dichtgedrängten Schwarms wie eine Bienenkönigin klebte. Immerhin war ich auf diese Weise imstande, meinen schwankenden Oberkörper einigermaßen aufrecht zu halten.
    Wir tranken Tokajer, einen Wein, der auf jenen Hügeln gereift war, wo auch meine ungarische Urgroßmutter das Licht der Welt erblickt hatte.
    »Die arme Frau«, lamentierte ich in einem plötzlichen Anfall von Schwermut, »die arme, arme Frau!«
    Sofort gerieten die Taschentücher der Damen in Bewegung, während die Herren die Ohren spitzten.
    »Stellen Sie sich vor«, schrie ich und ließ auch meiner Krawatte einen Schluck Tokajer zukommen, »jawohl, das müssen Sie sich vorstellen — in der Blüte ihrer Jahre — die arme Frau. Wie bitte? Jawohl, in der Blüte ihrer Jahre — tückisch verlassen. Jawohl, von einem Grafen! Einem hochgeborenen Grafen! Mit ihrem Kind! Wie bitte? Jawohl, mit einem Kind!«
    Einen leichten Anflug von Gewissensbissen, daß ich aus dem braven Sattlermeister und Vater von sieben Kindern, der laut Familienchronik mein Urgroßvater gewesen war, kurzerhand einen leichtsinnigen Aristokraten machte, spülte ich mit einem vollen Glas Tokajer ohne Schwierigkeiten hinweg.
    Die traurige Geschichte fand solchen Anklang, daß ich nur mit Mühe der Versuchung widerstand, meine Ururgroßmutter auf der Guillotine der Französischen Revolution sterben zu lassen.
    Die folgende halbe Stunde verlebte ich mit stark vermindertem Bewußtsein. Mehrere Versuche, uns im Gesang zu vereinen, scheiterten an den verschiedenen Auffassungen von Tonhöhe und Melodie. Dann sprachen wir gleichzeitig über Magengeschwüre, Kaninchenzucht, den Strand von Mallorca, die Ölausbeutung in Kuweit und die Jugendwerke von Picasso. Kein Mensch gab sich mehr Mühe, auf die Gedankengänge der anderen einzugehen. Es wäre auch zwecklos gewesen, weil jeder so laut schrie, daß man Mühe hatte, sich selbst zu verstehen. Zwischendurch fiel einer vom Hocker; wir beachteten ihn nicht.
    Nachdem ich sämtliche Visitenkarten eingesammelt hatte, schlug ich vor, ein Freibad unter nächtlichem Himmel zu nehmen. Das war nicht ganz uneigennützig, weil meine Gesprächspartner eine unheimliche Bereitschaft entwickelten, um die eigene Achse zu rotieren. Gleichzeitig erbot ich mich, den Bootsführer zu wecken und auf Wasserskiern einen Fackellauf zu veranstalten.
    Mein Plan fand ungeteilten Beifall.
    Befriedigt goß ich vor dem Barmixer den Inhalt meiner Brieftasche aus, als ich mich plötzlich dem Segelbootfahrer gegenübersah.
    »Lieber Freund«, sagte er vorwurfsvoll, »Sie sollten nicht gänzlich die reizende junge Dame vergessen, die Sie mitgebracht haben.«
    »Dame?« lallte ich, erfolglos gegen einen hartnäckigen Schluckauf kämpfend, »ich höre immer — hup — ich höre immer Dame.«
    »Sie hören richtig«, erwiderte er ernst.
    »Mich nicht — hup — mich bestimmt nicht!« sagte ich und hielt ihn mit einemmal eng umschlungen. »Sie vergessen — hup — jawohl, Sie vergessen, daß ich — hup — daß ich kein Regenschirm bin.«
    »Ich habe das nie angenommen —«
    »Außerdem — hup — außerdem ist diese Dame keine Dame, sondern — hup — sondern meine Frau.«
    Der Gedanke belustigte mich dermaßen, daß ich in weitem Bogen um meine Achse kurvte und — auf Isabell prallte, die wie ein Scharfrichter vor mir stand.
    »Pardon!« sagte ich und wich instinktiv einen Schritt zurück.
    »Liebling«, sagte sie in einem Ton, dessen Freundlichkeit in groteskem Gegensatz zum Ausdruck ihrer Augen stand, die wie zwei Revolvermündungen auf mich gerichtet waren. »Es ist Zeit, das Lokal zu verlassen. Ich bin müde!«
    Mit erstaunlicher Geschwindigkeit hatte sie mich untergehakt und durch die erstaunte Menge zum Ausgang geschleppt. Was verschlug es? Ich begann in der frischen Nachtluft mit voller Stimme »Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist

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