Hochzeit auf Raten
nett aussehen. Das ist für viele Menschen ein Glück.
Der schwarze Stoffkater, den ich Isabell zu Weihnachten geschenkt hatte, bildete keine Ausnahme. Er war stumm und nett wie seine Artgenossen. Ein Glück? Ich habe es immer bedauert, denn wer wäre geeigneter gewesen als er, mich einen Blick in Isabells abgründige Seele tun zu lassen. Er, den sie in ihrer Handtasche ständig mit sich schleppte und dem es Vorbehalten war, jede (jede!) Nacht mit ihr das Bett zu teilen. Ich hätte ihm dafür die Watte aus dem Bauch reißen können.
Hätte er reden können...
Ich würde zweifellos manches erfahren haben. Denn Isabell und ich sagten einander grundsätzlich nie das, was wir dachten. Wenn sich uns das Herz vor Liebe im Leib umdrehte, beschimpften wir uns. Wenn wir uns ärgerten, waren wir höflich.
Beispiel: Ein Sonntagnachmittag im Sommer. Sie sieht in ihrem neuen Kleid, das in der Gegend von Schultern, Hals und Brustansatz ein duftiges Nichts ist, bezaubernd aus. Ich werde schwindlig, wenn ich nur den Bruchteil einer Sekunde hinsehe. Ich: »Du hast wieder einmal viel zuviel Rouge auf den Lippen!« Oder: Ich lasse mir einen Anzug schneidern, so wie sie sich einen Herrenanzug vorstellt. Ich binde mir sogar eine ihrer
Krawatten um. Sie erschrickt vor Freude, als sie mich sieht. Sie: »Wenn du noch einmal diese Schuhe anziehst, verbrenne ich sie.«
Hätte er reden können...
Warum eigentlich nicht? Wenn ich heute die Augen beim Anblick eines fremden weiblichen Wesens züchtig zu Boden schlage, wenn ich mich getraue, mit einem Rosenstrauß in der Hand über den Hauptplatz zu gehen, wenn ich mir gar einen neuen Hut gekauft habe, dann müßte doch auch dieses Wunder geschehen können.
Und das Wunder geschah. Hier seine Memoiren:
Ich habe nie schreiben gelernt. Doch ist das kein Grund, es nicht zu tun. Man trifft ohnehin die Dinge besser, von denen man keine Ahnung hat.
Beginnen wir bei meiner Geburt, so wie das bei Memoiren üblich ist. Ich erinnere mich dunkel, ursprünglich der Teil eines Samtstoffes gewesen zu sein, der für ein Abendkleid bestimmt war. Die Schneiderschere wollte es, daß ich als Rest unter den Tisch fiel. Eine hoffnungsvolle Karriere schien jäh beendet. Überraschenderweise erwachte ich mit anderen Resten zu neuem Leben. Im Handumdrehen war ich ein Kater. Nachdem man mir ein weißes Hemd umgebunden hatte, steckte man mich in einen Pappkarton, worauf ich in einem Spielwarengeschäft das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Es wäre übertrieben zu behaupten, daß man schon frühzeitig auf mich aufmerksam wurde. Ich war aber auch kein Mauerblümchen, das unbeachtet im Eck stand. Ich war einfach zu teuer, das war alles. Daß ich trotzdem an den Mann beziehungsweise an die Frau kam, verdanke ich Weihnachten, die es alle Jahre einmal gibt. Zu dieser Zeit grassiert unter den Menschen, vor allem unter den Männern, der Bazillus der Dummheit. Das ist besonders arg, wenn sie verliebt oder jung verheiratet sind. Mein Käufer war ein solcher.
Mit ihm und ihr beginnt meine eigentliche Geschichte, eine sehr sonderbare Geschichte, denn beide sind sonderbare Leute. Wer sonst könnte auf die Idee verfallen, mit der Fahrkarte in der Hand so zu tun, als fahre er schwarz. Die meisten, wie man hört, halten es umgekehrt.
Auch sonst sind sie verrückt. Da warf er, als ein Abend, den er besonders vorsorglich arrangiert hatte, überraschend ins Wasser fiel, zornentbrannt auch Blumen, Wein und Brötchen ins Wasser, und zwar in wirkliches Wasser, das unter der Hauptbrücke durchfließt. Ich wette, in zehn Jahren hat er erkannt, daß man zumindest den Wein aufheben könnte.
»Die Liebe«, sagte er nachher, »ist etwas so Großes, daß sie nur durch Unsinnigkeiten dokumentiert werden kann.«
Außerdem sind beide fanatische Anhänger der sogenannten Gasmaskentheorie: Zwei Liebende marschieren durch die Wüste, als in ihrer Nähe eine Gasgranate explodiert. Beide verfügen nur über eine einzige Gasmaske. Wer soll sie anlegen? Lösung: keiner! Sie werfen die Maske von sich und sterben gemeinsam eines seligen Liebes- beziehungsweise Gastodes.
Ihr Hang zum Streiten ist pathologisch. Andere streiten, weil sie einen Grund haben. Sie streiten, weil sie keinen haben. Ich habe selten Leute so hingebungsvoll streiten gesehen wie die beiden. Sie streiten einfach, weil sie sich liebhaben. Das sieht etwa so aus:
Sie: »Liebling!«
Er: »Ja?«
Sie: »Stimmt es, daß du ohne mich nicht leben kannst?«
Er: »Du weißt
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