Hochzeit auf Raten
jedoch in deren Interpretation. Während er diese Vergangenheit zu erörtern trachtet, weil er glaubt, ihr damit am besten ihre Unbedeutendheit demonstrieren zu können, hält sie es mit der Verschwiegenheit. Reden könne und würde man nur, wie sie sagte, über bedeutungsvolle Dinge. Daraufhin verdächtigte er sie, daß sie schweige, um etwas zu verbergen. Sie wirft ihm wiederum vor, er rede, um sich reinzuwaschen. Im letzten Augenblick fällt ihnen ein, daß sie sich lieben und daß wahre Liebe bereit sein muß, sich mitunter auch in den Willen des anderen zu fügen. So schweigt er und sie redet. Die Folgen sind katastrophal.
Sie dichtet ihm Traumfreundinnen an, die er, wäre er auch der temperamentloseste Mann gewesen, einfach hätte lieben müssen. Durch sein Schweigen wird er binnen kurzem zum gewissenlosesten, ausschweifendsten und verderbtesten Mann Mitteleuropas. Er hat monatelang damit zu tun, all das zu widerlegen und abzuschwächen, was gar nicht zu widerlegen und abzuschwächen ist.
Aber auch ihre Geständnisse gehen wie eine Kanone nach hinten los, obwohl sich zunächst alles überaus lustig anläßt. Er biegt sich vor Lachen, als sie ihm berichtet, wie sie an einem Tag oft bis zu sechs Rendezvous zu bewältigen hatte — à dreißig Minuten —, wie sie von Mal zu Mal durch kleine Überschätzungen des Plansolls immer mehr in Zeitnot geriet, bis schließlich der Sechste mit dem Fünften zusammentraf. Er findet es komisch, daß ein besonders Eifersüchtiger sich ihrer Treue dadurch vergewissern wollte, daß er sie jeden Tag vom Büro abholte und zur Haustür brachte, wo er so lang verharrte, bis in ihrem Fenster das Licht aufflammte. Daß sie eine Viertelstunde später wieder zur Hintertür hinaushuschte, hat der Unglückliche erst erfahren, als sie eines Abends in der Straßenbahn fröhlich wieder zusammentrafen.
Doch das Lachen vergeht ihm, als sie gegangen ist. Als sich dieselbe Tür vor ihm schließt, die sich auch vor den anderen geschlossen hat.
Nun, vielleicht ist es ein Zufall, daß er hierauf um den Häuserblock schleicht und sich an der Hinterpforte postiert. Schon bedenklicher scheint es, daß er das gleiche Manöver am nächsten Abend wiederholt. Als er das drittemal einen Mann, der kurz nach ihr durch das Tor getreten ist, sogar bis in den zweiten Stock verfolgt, steht es fest: die neue Methode ist ein Bumerang.
Sie halten es also wieder wie zu Beginn: er redet, sie schweigt.
Kann eine Frau, die jung, hübsch und temperamentvoll ist, treu sein? Sie sagt ja, er bezweifelt es.
»Wenn ich eine Frau wäre«, sagt er, »und so viele Männer hinter mir herliefen wie hinter dir, ich weiß nicht, ob ich die Standhaftigkeit hätte, immer nein zu sagen.«
»Ach, daran gewöhnt man sich«, entgegnet sie.
»An was?«
»An die Männer.«
Nachdenklich wiegt er den Kopf hin und her.
»Offengestanden, hat es eine Frau viel schwerer, treu zu sein, als ein Mann«, philosophiert er weiter. »Wenn ein Mann nicht will, dann will er eben nicht. Es liegt an ihm, zu bedrängen. Eine Frau aber wird bedrängt, sie muß sich mit Männern beschäftigen, mit denen sie sich gar nicht beschäftigen will. Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung muß sie einmal der Versuchung erliegen.«
»Habe ich dir Anlaß gegeben, an mir zu zweifeln?«
Er wehrt eifrig ab: »Ich frage nur so.«
»Du fragst in letzter Zeit aber reichlich viel.«
»Das bringt mein Beruf mit sich.«
»Dein Beruf? Ich denke, du bist Politiker.«
»Es gibt keinen Beruf, der umfassendere Kenntnisse erfordert.«
»Was Frauen anbelangt, dürftest du nicht mehr viel dazuzulernen haben.«
»Vielleicht vom Standpunkt des Mannes aus. Aber ich wüßte gerne, wie ihr selbst darüber denkt.«
Darauf gibt sie keine Antwort.
»Du gibst doch zu —«
»Es gibt nichts zuzugeben«, unterbricht sie ihn ungeduldig. »Bist du wirklich so eingebildet, daß du glaubst, ein Mann wäre allein schon deshalb eine Versuchung, weil er ein Mann ist?«
»Oh — man ist charmant, man ist galant. Ein Gläschen Wein, ein wenig Musik — halb sinkt sie hin, halb drängt er sie. Peng! Und das Malheur ist da.«
»Interessant«, sagt sie gedehnt und ergreift seine Krawatte, »sehr interessant.«
»Wie — wieso interessant?“
»Weil ich jetzt endlich weiß, wie du das gemacht hast, du elender Schuft!«
»Wieso ich?«
Sie zieht ihn an der Krawatte im Kreis: »Glaubst du, ich wüßte nicht, woher du das so genau weißt? Glaubst du das?«
Als sie ihn wieder losläßt,
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