Hochzeit auf Sizilianisch
Bruder?" forderte sie gebieterisch Auskunft.
Bevor einer der beiden etwas erwidern konnte, kam ein kleiner Junge in die Kirche gelaufen und sah sich um, als suchte er etwas Bestimmtes. Als er Heather sah, entspannte sich seine Miene. Er trat zu ihr und überreichte ihr ein Blatt Papier, und noch ehe Heather begriffen hatte, wie ihr geschah, war er schon wieder verschwunden. Wie in Trance reichte Heather Angie den Brautstrauß, bevor sie den Zettel auseinander faltete, auf dem handschriftlich etwas notiert war. Die Zeilen wirkten, als wären sie in großer Eile und Erregung entstanden.
Liebste Heather,
mein Verhalten ist unverzeihlich, doch leider bleibt mir keine andere Wahl.
In den letzten Tagen und Wochen musste ich oft an die wunderschöne Zeit in London zurückdenken. Wer weiß, was geworden wäre, wenn sich die Dinge so entwickelt hätten, wie sie begonnen haben.
Renato wusste es zu verhindern. Von dem Moment an, in dem er auf den Plan trat, hatten wir keine Chance mehr, glücklich miteinander zu werden. Er hat mich dazu gedrängt, Dich zu heiraten, obwohl er genau wusste, dass ich mich dazu noch zu jung und unerfahren fühlte. Für ihn zählt einzig und allein, dass es einen männlichen Nachkommen gibt, der nach ihm die Firma weiterführen kann. Wie Du weißt, ist Bernardo nur unser Halbbruder, und Renato hat den Glauben an die Liebe längst aufgegeben.
Also hat er mir diese Aufgabe zugedacht, und da er in Dir die ideale Mutter des Stammhalters der Familie Martelli gefunden zu haben glaubte, hat er mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Du kennst ihn ja und weißt selbst, dass er Mittel und Wege findet, seinen Willen durchzusetzen.
An jenem Tag, als ich vorzeitig aus Stockholm zurückgekommen bin, war ich fest entschlossen, ihn dazu zu bewegen, die Hochzeit abzusagen oder wenigstens zu verschieben. Ich bin nicht sicher, ob er mir überhaupt zugehört hat. Ich liebe Dich, Heather - zumindest glaube ich es. Und noch heute Morgen war ich fest entschlossen, Dich zu heiraten. Doch als ich die vielen Menschen vor der Kathedrale sah, musste ich einsehen, dass ich uns beiden etwas vormachen würde, wenn ich mit Dir den Bund fürs Leben eingehe.
Wenn Du kannst, verzeih mir bitte.
Lorenzo
Wie betäubt ließ Heather den Arm sinken und blickte ausdruckslos ins Leere. Es hatte keinen Sinn, länger auf Lorenzo zu warten. Er würde nicht kommen, weder heute noch an irgendeinem anderen Tag. Allen Beteuerungen zum Trotz hatte er sie nie geliebt. Jedenfalls nicht genug, um sie zu heiraten.
Eines musste Heather ihm lassen: Ehrlich war er wenigstens. Was sich von seinem großen Bruder nicht behaupten ließ. Renato hatte sich wieder einmal als der skrupellose Taktierer erwiesen, für den Menschen nichts weiter waren als Figuren in einem Spiel, dessen Regeln er bestimmte.
Hinter ihr hörte sie ihn plötzlich laut fluchen, und jetzt erst wurde sie sich bewusst, dass er ihr über die Schulter gesehen und mitgelesen hatte. Als sie sich umsah, erschrak sie unwillkürlich. Renatos Augen waren geweitet, als stünde er unter Schock, und er war ungefähr so blass wie an jenem Abend in London, an dem er nur mit knapper Not dem Tod entronnen war.
Doch trotz seines Zustandes war er damals noch immer Herr der Lage gewesen. Nun wirkte er geradezu hilflos. Heather war jedoch viel zu benommen, um dem irgendwelche Bedeutung beizumessen. Trotzdem brannte sich dieser Gesichtsausdruck in ihrem Gedächtnis ein, und viel später sollte sie sich daran erinnern.
Einstweilen musste sie ohnmächtig verfolgen, dass sich die
Hochzeitsgesellschaft nach und nach von ihren Plätzen erhob und sich in Windeseile das Gerücht verbreitete, dass etwas Entsetzliches geschehen sei.
„Was schreibt er?" fragte Angie leise.
Weil Heather nicht reagierte, nahm sie ihr den Brief aus der Hand. Bernardo stellte sich neben sie, und mit jeder Zeile, die er las, verfinsterte sich seine Miene zusehends. Mit einem erstaunten und zugleich wütenden Blick zu Renato sagte er schließlich: "Ich hole ihn zurück, egal, wo er sich versteckt hat."
„Nein!" Heathers Erstarrung löste sich schlagartig. Endlich konnte sie wieder klar denken - was sich von Bernardo nicht sagen ließ. "Glaubst du wirklich, ich würde ihn jetzt noch heiraten?"
"Bitte nimm doch Vernunft an, Heather", flehte er förmlich.
"Wäre es vielleicht vernünftig, wenn ich einen Mann heiratete, der es gar nicht will?"
Bernardo nickte und senkte betreten den Blick. "Entschuldige bitte. Du hast
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