Hochzeit auf Sizilianisch
zu sagen, was sie von ihm hielt.
Glücklicherweise betrat in diesem Moment ein Arzt den Flur. "Ihrer Mutter geht es den Umständen entsprechend gut“, teilte er den beiden Brüdern mit.
"Wenn Sie wollen, können Sie jetzt kurz zu ihr."
Heather und Angie blieben allein zurück und setzten sich auf eine Bank. Doch schon nach wenigen Augenblicken kam Renato wieder aus dem
Krankenzimmer. Er wirkte noch blasser als zuvor. "Meine Mutter möchte dich sprechen", sagte er mit Grabesstimme.
"Was ist mit ihr?"
"Sie ist wie besessen von dem Gedanken, dass sie die Schuld an allem trifft."
"Aber das ist doch nicht wahr! Warum hast du ihr das nicht gesagt?"
"Sag du es ihr", erwiderte Renato bitter. "Auf mich will sie nicht hören. Sag ihr, was du willst, nur bitte sorg dafür, dass sie sich nicht länger quält. Du bist die Einzige, die ihr jetzt helfen kann."
Gemeinsam gingen sie ins Zimmer, und Bernardo machte Heather wortlos den Platz am Bett frei und stellte sich zu seinem Bruder.
Baptista wirkte unendlich müde und erschöpft, und der Blick, mit dem sie Heather ansah, verriet, dass sie Todesangst ausgestanden hatte. "Vergib mir", flüsterte sie kaum hörbar, so schwer fiel ihr das Sprechen. "Mir und meinem Sohn, der solche Schande über unsere Familie gebracht hat."
"Ich habe dir nichts zu vergeben, Mamma", widersprach Heather rasch und nahm Baptistas Hand. "Dich trifft genauso wenig Schuld wie mich. Was geschehen ist, ist geschehen, und jetzt lass uns nach vorn schauen."
Baptista hatte Tränen der Rührung in den Augen. "Du hast ein großes Herz", sagte sie leise und lächelte sanft. "Und Lorenzo ist ein Dummkopf."
Heather beugte sich zu ihr herunter. "Sind das nicht alle Männer?" fragte sie und erwiderte Baptistas Lächeln. "Umso mehr Grund haben wir Frauen, uns vor ihnen in Acht zu nehmen."
Heathers Worte schienen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn Baptistas Gesichtszüge entspannten sich. "Du hast völlig Recht", erwiderte sie. "Wir Frauen müssen zusammenhalten. Darum musst du mir versprechen, dass du Sizilien nicht verlässt, bis ich wieder zu Hause bin."
Heather hatte große Mühe, ihre Bestürzung nicht offen zu zeigen. Wenn sie überhaupt einen Wunsch hatte, dann den, der Insel so schnell wie möglich den Rücken zuzukehren.
"Willst du das für mich tun?" Baptistas Stimme wurde immer schwächer.
"Denk daran, um was ich dich gebeten habe", mischte sich Renato drohend aus dem Hintergrund ein. Baptista schien ungeduldig auf eine Antwort zu warten, und um keinen Preis durfte sie sich jetzt aufregen. "Ich verspreche es dir", sagte Heather rasch. "Ich werde auf dich warten. Jetzt möchtest du sicher mit deinen Söhnen allein sein."
"Du hast mir dein Wort gegeben." Baptista schien noch nicht restlos überzeugt.
"Mach dir keine Sorge, Mamma." Heather strich ihr beruhigend über die Stirn.
"Ich habe dir mein Ehrenwort gegeben, und ich werde mich daran halten."
"Was ist passiert?" fragte Angie besorgt, als Heather aus dem Krankenzimmer kam. "Du bist weiß wie eine frisch getünchte Wand."
"Ich befürchte, ich habe einen riesigen Fehler gemacht", erwiderte Heather und berichtete ihrer Freundin in aller Kürze, was sich zugetragen hatte.
„Dir blieb doch keine andere Wahl", wandte Angie ein.
"Da hast du wohl Recht“, sagte Heather niedergeschlagen. "Wenn ich bloß wüsste, wie ich es ertragen soll, mit Renato unter einem Dach zu leben."
6. KAPITEL
Das Anwesen der Familie Martelli wirkte wie ausgestorben. Die vielen Freunde und Verwandten, die eigens zur Hochzeit angereist waren, schienen förmlich die Flucht ergriffen zu haben. Nur die Geschenke auf dem großen Tisch im Salon erinnerten an den Anlass ihres Kommens.
Erst als sie den. großen Raum betrat, bemerkte Heather, wie erschöpft sie war.
Bislang hatte die Sorge um Baptista verhindert, dass sie sich mit ihrer eigenen Situation beschäftigt hatte.
Umso niederschmetternder war die plötzliche Gewissheit, dass sie sich in einer schier aussichtslosen Lage befand. Hinter ihr lag die schwärzeste Stunde ihres Lebens und vor ihr die unerträgliche Aussicht, Tag für Tag dem Menschen zu begegnen, dem sie diesen Albtraum zu verdanken hatte.
Unwillkürlich schlug sie die Hände vors Gesicht, um gegen die Verzweiflung anzukämpfen, die sie zu überwältigen drohte. Sie hatte sich fest vorgenommen, sich zusammenzureißen, bis sie alles hinter sich gelassen hatte, was sie bedrückte: die Insel, das Haus der Familie Martelli und vor allem deren
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