Hochzeit des Lichts (German Edition)
sichtbar einen Grad höher. Eine Amsel präludierte kurz, und dann sprühte von allen Seiten der Gesang der Vögel auf, mit einer Kraft, einem Jubeln, einer frohen Ungleichheit, einer unendlichen Hingerissenheit ohnegleichen. Der Tag nahm seinen Lauf wieder auf und sollte mich bis zum Abend tragen.
Auf den sandigen Hängen, die mit Heliotrop überdeckt waren wie mit dem Schaum, den die wilden Wogen der letzten Tage zurückgelassen hatten, blickte ich in der Mittagsstunde auf das Meer, das sich kaum bewegte, und löschte jenen zweifachen Durst, den man nicht lange hinhalten kann, ohne dass unser Wesen ausdörrt: zu lieben und zu bewundern.
Denn nicht geliebt zu werden ist nur misslicher Zufall, nicht zu lieben jedoch ist Unglück. Wir alle sterben heute an diesem Unglück. Blut und Hassen zerfleischen selbst das Herz; die lange Wiedervergeltung der Gerechtigkeit erschöpft die Liebe, die sie doch geboren hat. Im Geschrei, in dem wir leben, kann die Liebe nicht sein, und auch die Gerechtigkeit genügt nicht. Damit sich die Gerechtigkeit nicht verhärte wie die schöne Frucht einer Orange, deren Inneres nur noch bitter und trocken ist, entdeckte ich in Tipasa von Neuem, dass man in sich eine Frische unberührt bewahren soll, einen Quell der Freude, und den Tag lieben, der dem Unrecht entrinnt, und mit diesem Licht in den Kampf zurückkehren. Ich fand jene frühere Schönheit wieder, den jungen Himmel, und erkannte mein Glück, dass ich durch die ärgsten Jahre des Wahns hindurch die Erinnerung an diesen Himmel in mir bewahrt hatte. Er war es, der mich vom Verzweifeln abgehalten hatte. Seit je habe ich gewusst, dass die Ruinen von Tipasa jünger sind als unsre Baustellen und unsere Schutthaufen. Die Welt erneuert sich hier täglich in einem immer neuen Licht. O Licht! Dies ist der Schrei, den alle ausstoßen im antiken Drama, die ihrem Schicksal gegenüberstehen. Diese letzte Zuflucht war auch die unsere, und jetzt wusste ich es. Mitten im Winter erfuhr ich endlich, dass in mir ein unvergänglicher, unbesiegbarer Sommer ist.
Ich habe Tipasa dann wieder verlassen und habe Europa mit seinen Kämpfen wiedergefunden. Doch die Erinnerung an jenen Tag trägt mich noch immer und hilft mir, mit dem gleichen Herzen das Mitreißende wie auch das Bedrückende hinzunehmen. Was kann ich in dieser schweren Stunde anderes ersehnen, als dass ich nichts ausschließen möge und lerne, sowohl den schwarzen wie den weißen Faden zum gleichen Seil zu winden, das bis zum Zerreißen gespannt ist? In allem, was ich bis heute getan und gesagt habe, glaube ich diese zwei Kräfte zu erkennen, auch wenn sie sich widerstreiten. Ich konnte das Licht, in dem ich geboren wurde, nicht leugnen und wollte auch den Zwängen unserer Zeit nicht ausweichen.
Es wäre allzu leicht, dem sanften Namen von Tipasa andere, klingendere und grausamere entgegenzustellen; es gibt für uns heutige Menschen einen inneren Weg, den ich wohl kenne, weil ich ihn in beiden Richtungen begangen habe, und der von den Hügeln des Geistes zu den Hauptstädten des Verbrechens führt. Man kann sich wohl immer ausruhen und auf den Hügeln einschlafen oder sich im Verbrechen niederlassen. Doch wenn man auf einen Teil des Bestehenden verzichtet, gibt man sich selber auf; man muss auf das Leben verzichten oder darauf, anders zu lieben denn aus einer Vollmacht heraus.
Es gibt einen Lebenswillen, der dem Leben nichts verweigert, und dies ist die Tugend, die ich am höchsten verehre auf dieser Welt. Ich wollte wahrlich, ich hätte sie selber von Zeit zu Zeit geübt. Da wenige Epochen wie die unsere vom Menschen verlangen, dass er sich sowohl dem Besten wie dem Schlimmsten gleichstelle, möchte ich nichts ablehnen und die Erinnerung an beides genau bewahren. Ja, es gibt die Schönheit, und es gibt die Erniedrigungen. Wie schwer es auch sei, ich möchte weder der einen noch den anderen untreu werden.
Aber auch das sieht nach Moral aus, und wir leben für etwas Höheres als die Moral. Könnten wir es nennen, wie groß wäre die Stille! Auf dem Hügel von Sainte-Salsa, im Osten von Tipasa, ist der Abend belebt. Noch ist es hell, doch eine unsichtbare Schwäche des Lichtes kündet das Ende des Tages. Ein Windhauch erhebt sich, leicht wie die Nacht, und das wellenlose Meer beginnt in eine Richtung zu fließen wie ein großer, unfruchtbarer Strom, von einem Ende des Horizonts zum andern. Der Himmel dunkelt. Dann beginnt das Geheimnis, die Götter der Nacht, das Jenseits der Lust. Doch wie
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