Hochzeit des Lichts (German Edition)
soll man das sagen? Die kleine Münze, die ich von hier mitnehme, zeigt auf einer Seite ein schönes Frauenantlitz, das mir wiederholt, was ich an diesem Tage gelernt habe, während ich auf der Rückseite mit den Fingern die abgegriffene Seite betaste. Was sagt mir dieser stumme Mund denn anderes, als was jene geheimnisvolle Stimme in mir verlauten lässt, die mich an meine Unwissenheit und mein Glück mahnt:
»Das Geheimnis, das ich suche, ist in einem Tal mit Olivenbäumen vergraben, unter dem Gras und den kühlen Veilchen, bei einem alten Haus, das nach Weinranken duftet. Während mehr als zwanzig Jahren habe ich dieses Tal durchmessen und jene, die ihm gleichen; ich habe die stummen Ziegenhirten befragt, ich habe an die Tore der unbewohnten Ruinen geklopft. Manchmal, in der Stunde des ersten Sternes im hellen Himmel, unter einem Regen zarten Lichtes, glaubte ich zu wissen. Ich wusste, in Wahrheit. Und vielleicht weiß ich immer. Aber niemand will jenes Geheimnis, ich selber wahrscheinlich auch nicht, und ich kann mich doch von meinen Geheimnissen nicht trennen. Ich lebe in meiner Familie, die über reiche und hässliche Städte aus Steinen und Dunst zu herrschen glaubt. Tag und Nacht redet sie laut, und alles neigt sich vor ihr, die sich selbst vor nichts beugt; sie bleibt taub für alle Geheimnisse. Ihre Macht, die mich trägt, langweilt mich jedoch, und ich habe manchmal genug von ihrem Geschrei. Aber ihr Unglück ist auch das meine, wir sind vom selben Blut. Habe ich denn selber, verwundet, mitschuldig und lärmend, nicht auch geschrien zwischen den Steinen? Ich will vergessen, ich gehe in unsern Städten aus Eisen und Feuer, ich lächle tapfer der Nacht zu, ich rufe die Gewitter, ich will treu sein. Doch eines Tages, wenn wir aus Erschöpfung und Unwissenheit zu sterben bereit sein werden, vielleicht werde ich dann auf unsere lauten Gräber verzichten und mich in jenes Tal legen, unter das gleiche Licht, und ein letztes Mal erfahren, was ich weiß.«
Das Meer
Bordtagebuch
Ich wuchs am Meer auf, und die Armut schien mir kostbar; dann verlor ich das Meer, und aller Luxus erschien mir fortan grau und das Elend unerträglich. Seither warte ich. Ich warte auf die Schiffe der Rückkehr, auf das Haus der Gewässer, auf den hellen Tag. Ich gedulde mich, ich bin höflich mit allen meinen Kräften. Man sieht mich durch schöne, gescheite Straßen gehen, ich bewundere Landschaften, klatsche Beifall wie alle, schüttle die Hände und bin es nicht, der redet. Man lobt mich, ich träume ein wenig, man beleidigt mich, ich bin kaum erstaunt. Dann vergesse ich und lächle den Beleidigenden zu oder grüße allzu höflich jenen, den ich liebe. Was soll ich tun, wenn ich in mir nur das eine Bild trage? Man zwingt mich schließlich zu sagen, wer ich sei. »Noch nichts, noch niemand …«
An Beerdigungen zeichne ich mich besonders aus. Wirklich, ich übertreffe mich. Ich gehe langsamen Schrittes durch die von rostigem Eisen blühenden Vorstädte, durch breite Alleen, die zu Löchern in der kalten Erde führen. Hier, unter dem kaum geröteten Himmel, sehe ich kühne Gefährten, meine Freunde, in drei Meter Tiefe begraben. Ich werfe sodann die Blume, die mir von einer lehmigen Hand gereicht wird, und treffe nie daneben. Ich habe eine pünktliche Frömmigkeit, eine genau bemessene Erregung, den Kopf anständig geneigt. Man wundert sich, dass meine Worte richtig sind. Doch ich habe kein Verdienst: Ich warte.
Ich warte lange. Manchmal stolpere ich, lasse die Hand los, der Erfolg flieht mich. Was bedeutet’s, dass ich dann allein bin. Ich wache in der Nacht auf und glaube, noch halb im Schlaf, das Geräusch der Wellen, das Atmen der Wasser zu hören. Ganz erwacht, merke ich, dass es der Wind in den Blättern war und das unselige Lärmen der öden Stadt. Dann brauche ich meine ganze Kunst, um meine Enttäuschung zu verbergen oder sie modisch zu verkleiden.
Bei anderen Gelegenheiten wiederum wird mir geholfen. In New York geschah es mir, dass ich, verloren in diesen Schächten aus Stein und Stahl, wo Millionen Menschen herumirren, von einem zum andern rannte, ohne Ziel, erschöpft, nur noch von der Menschenmasse getragen, die einen Ausgang suchte. Ich war am Ersticken und hätte beinahe aufgeschrien in panischer Angst. Doch jedes Mal erinnerte mich der ferne Ruf eines Schleppers daran, dass die Stadt, dieser ausgetrocknete Brunnenschacht, eine Insel sei und dass an der Landspitze der Battery mein Taufwasser mich erwarte, schwarz
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