Hochzeit in Glenrae
auf die Andersons nicht ins Spiel kam, hatte er sich erstaunlich nett und einfühlsam gezeigt. Oder gehörte das zu seinem Rachefeldzug, genau wie sein Heiratsantrag?
“Meine Mutter findet, du brauchst frische Luft”, unterbrach Stuart Jennas Gedanken. “Und da sie ihren Willen meist durchsetzt, solltest du dich ihr lieber sofort beugen.”
Jenna lächelte gespielt resigniert. “Ich gebe mich geschlagen. Gegen zwei komme ich nicht an.” Sie ging nach oben, um sich eine Jacke zu holen und bequeme Schuhe anzuziehen. Stuart wartete in der Eingangshalle, als sie wieder herunterkam.
“Gehen wir zu Fuß?”
Stuart nickte. “Wenn du dir das zutraust? Bis ins Dorf hinunter sind es etwa drei Kilometer, es geht die ganze Zeit abwärts. Auf dem Rückweg können wir uns von jemandem mitnehmen lassen, falls dir die Kraxelei zu mühsam sein sollte.”
“Das glaube ich nicht.” Sie seufzte. “Mir ist danach, mich mal wieder so richtig zu verausgaben.”
“Dann lass uns gehen.”
Es war ein herrlicher Morgen, und die Landschaft zeigte sich von ihrer schönsten Seite. Das zerklüftete Tal war in sanften Dunst gehüllt, der von einem abseits gelegenen See aufstieg. Zur Rechten breitete sich das in seiner Urtümlichkeit fast erhaben anmutende Moorland aus, und nur in der Ferne zeichnete sich an einem Wäldchen eine einsame Hütte ab.
Stuart deutete auf den See. “Am Nordufer gibt es viele kleine Buchten. Dort findet man auch eine Menge Vogelarten. Wenn du möchtest, fahren wir mit Suzie an einem der nächsten Tage mal hin.”
“Gern.” Jenna wusste selbst nicht, warum sie beim Anblick dieser ungezähmten, wildromantischen Landschaft unwillkürlich an Duncan denken musste.
Wie Stuart angekündigt hatte, führte die gewundene Straße bergab, sodass das Laufen nicht anstrengte. Wenig später entdeckte Jenna auf einer kleinen Anhöhe eine Steinkirche. Etwas weiter unten wurde eine Gruppe von Häusern sichtbar, die bereits zum Dorf gehören musste.
Die beiden marschierten zügig voran, und es dauerte nicht lange, bis sie sich dem Friedhofstor der Kirche näherten. Jenna blieb stehen, um einen Blick über die bemoosten Mauern zu werfen. Die Sonne schien hell auf die wettergezeichneten Grabsteine und die Blumen an den gepflegten Rändern.
“Möchtest du hineingehen und dir den Friedhof aus der Nähe ansehen?”, fragte Stuart. “Oder wirken Gräber bedrückend auf dich?”
“Aber nein”, erwiderte Jenna. “Ich sehe mir alte Friedhöfe gern an. Sie sagen einem eine Menge über die Geschichte eines Ortes und seiner Menschen.”
“Dann erfährst du hier auch einiges über meine Vorfahren. Die meisten von ihnen sind hier begraben.” Stuart gab einen verächtlichen Laut von sich. “Einige sind ins Ausland entkommen, aber das sind die Ausnahmen.”
“Entkommen … eine merkwürdige Formulierung.” Sie schaute Stuart an, der ihr das Tor aufhielt. “Möchtest du von Glenrae fort?”
“Ab und zu.” Er zuckte mit den Schultern. “Aber im Großen und Ganzen fühle ich mich hier eigentlich wohl.”
“Das ist gut”, erwiderte sie nachdenklich. “Das Leben in der Fremde ist oft gar nicht so rosig, wie man es sich vorstellt.”
“Ja, das stimmt. Man merkt schnell, dass das Gras dort auch nicht grüner ist.” Stuart lachte grimmig. “Ich weiß, wie es in der großen weiten Welt zugeht. Vor einigen Jahren war ich eine Weile von zu Hause fort.”
Jenna blickte Stuart forschend an. “Hat dich das Heimweh hierher zurückgetrieben?”
“Das weiß ich nicht mehr”, sagte er, aber sie hatte das Gefühl, dass er ihr auswich. “Ich bin einfach zurückgekommen.”
Sie wanderte zu einer sonnigen Ecke und begann, die Grabinschriften zu lesen. Der Name Fergusson tauchte wiederholt auf.
Stuart trat zu ihr, als sie ein neueres Grab betrachtete, dessen Inschrift einer Sharon Fergusson und ihrer Tochter Marie gewidmet war.
Jennas Herz begann heftig zu pochen. “Duncan Fergussons Frau und Kind?”, fragte sie leise. Auf die Idee, er könnte Witwer sein, war sie gar nicht gekommen. Deshalb also das Kinderzimmer, in das sie eingedrungen war …
“Nein”, antwortete Stuart. “Seine Schwester und seine kleine Nichte.” Nach kurzem Zögern setzte er stockend hinzu: “Sie sind vor zwei Jahren ums Leben gekommen … bei einem Autounglück oben auf der Bergstraße.”
Langsam drehte sie sich um und betrachtete Stuarts ernste Züge. “Warst du mit seiner Schwester … befreundet?”
Er wich ihrem Blick aus. “So
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