Hochzeit in Hardingsholm
war. Hastig streifte Linn Jeans und T-Shirt über und eilte nach draußen, um Erik auf Lars’ Ankunft vorzubereiten. Aber es war zu spät. Als sie ins Treppenhaus trat, sah sie, wie Erik seinem Bruder im Erdgeschoss gerade freundschaftlich auf die Schulter klopfte »Edda bringt Hellen Reslow aufs Zimmer«, hörte sie ihn sagen und wunderte sich darüber, dass die Pilotin noch blieb. Viel mehr aber interessierte sie, wie Erik und Lars miteinander umgingen, doch die beiden Brüder verließen das Haus durch die Terrassentür. Nebeneinander, schweigend. Linn wandte sich ab und ging zurück in ihr Zimmer. Sie fühlte sich nicht wohl. Dieser Tag, das Fest morgen, all das hatte im Augenblick jede Bedeutung für sie verloren.
– 17 –
D ie Brüder schlenderten nebeneinander über die Wiese hinunter zum Fjord. Erik brach als Erster das Schweigen, das Lars als zunehmend beklemmend empfand: »Können wir reden?«
Lars hatte mit dieser Frage gerechnet und nickte, auch wenn er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Er spürte, dass sein Bruder ihn von der Seite ansah, erwiderte den Blick aber nicht.
Hinter ihnen waren die Geräusche der Festvorbereitungen zu hören, Besteck klimperte, vereinzelte Rufe erklangen, die Band stimmte ihre Instrumente. Lars konzentrierte sich auf das stetige Rauschen der Wellen vor sich, auf das leichte Plätschern, wenn sie ans Ufer schlugen. Der Himmel über Hardingsholm war immer noch tiefblau, aber draußen über dem Wasser schimmerte er bleiern.
»Sieht so aus, als würde das Unwetter vorbeiziehen«, sagte Erik.
»Du wolltest mit mir über das Wetter reden?«, fragte Lars und hörte selbst, wie spöttisch seine Stimme klang.
»Nein, natürlich nicht.« Erik brach ab, hob nach ein paar Sekunden erneut an. »Es ist nicht so einfach. Du weißt schon, das mit Linn und mir. Weder sie noch ich wollten dich verletzen. Es ist einfach so passiert. Wir waren beide allein, sie war für mich da, ich für sie …« Er brach ab, und Lars war überrascht, dass sein Bruder so hilflos klang.
»Trotz allem habe ich immer das Gefühl gehabt, dass ich dir die Frau wegnehme«, fuhr Erik jetzt stockend fort. »Ich habe mich immer wieder gefragt, ob es dir etwas ausmachen würde. Selbst der Gedanke, dass du Linn nicht verlassen hättest, wenn du sie aufrichtig geliebt hättest, konnte mich nicht von meinen Zweifeln abbringen.«
Lars war zutiefst getroffen. Er hatte ab und an darüber nachgedacht, was sein Verschwinden nicht nur für Linn, sondern auch für Erik bedeutet haben musste, die Gedanken aber immer abgebrochen. Im Gespräch mit diesen beiden Menschen, die ihm die wichtigsten auf der Welt waren, die Folgen seines Handelns zu bemerken, beeindruckte ihn jetzt mehr, als ihm lieb war. »Es tut mit leid«, sagte er mit belegter Stimme. »Ihr habt euch nichts vorzuwerfen, weder du noch Linn, und ich bin der Letzte, der euch etwas vorwerfen würde.« Er zwang sich, den Blick zu heben und seinen Bruder anzusehen. »Ganz im Gegenteil! Ich bin froh, dass ihr euch gefunden habt.«
Es war gelogen! Lars war nicht froh, dass sie sich gefunden hatten. Ganz im Gegenteil, er war tief enttäuscht, und es tat weh. So sehr, dass es kaum auszuhalten war. Kurz überkam ihn das Bedürfnis, Eriks offensichtliche Schuldgefühle für sich zu nutzen, aber, so gestand er sich ein, seinem Bruder Leid zuzufügen würde seinen eigenen Schmerz nicht verringern. Und sein Bruder hatte das einfach nicht verdient, er hatte schließlich nicht gegen Lars gehandelt, sondern für Linn.
Lars atmete tief durch und zwang sich schließlich zu einem Lächeln. »Ich wünsche euch von ganzem Herzen, dass ihr miteinander glücklich werdet.«
»Danke«, sagte Erik, und Lars kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er mit den Tränen kämpfte. »Ich bin froh, dass du noch rechtzeitig gekommen bist.«
Erik schien ehrlich erleichtert, doch in Lars wuchs das Gefühl von Bitterkeit. Rechtzeitig? Wofür? Um seinem Bruder und seiner zukünftigen Schwägerin die Absolution zu erteilen?
»Was hast du jetzt vor?«, unterbrach Erik seine düsteren Gedanken. »Bleibst du?«, fragte er leise.
Ja, was hatte er jetzt vor?
Lars zuckte mit den Schultern, obwohl er genau wusste, dass ihm nur eine Möglichkeit blieb. Er wusste, dass er das Geschehen nicht ändern konnte, und wünschte seinem Bruder und Linn von ganzem Herzen Glück. Aber er wusste gleichzeitig, dass er es nicht ertragen konnte, ihr Glück mit ansehen zu müssen. Das aber würde er nie
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