Hochzeit in St. George (German Edition)
das geschliffene Glas.
Richard probierte einen Schluck. Er schmeckte vollmundig und köstlich. Diese Neuerung ließ er sich gefallen. Und eigentlich, wenn er es sich genau überlegte, gefiel ihm auch der Butler. Er schien ein Meister seines Faches zu sein. Und warum sollte er keinen Butler haben? Schließlich war er irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, ein Viscount. Höchste Zeit, daß er begann, standesgemäß zu leben.
»Meine Frau und meine Schwester sind nicht zu Hause?« erkundigte er sich.
»Bedaure, nein, Sir«, antwortete der Butler, der damit begann, die Vorspeise seines neuen Herrn anzurichten.
»Sie wissen nicht, wo sich die beiden aufhalten?«
Der Butler bedauerte abermals. Davon hatte er leider keine Kenntnis. Aber Kermin, der nach dem Essen erschienen war, wie es ihm Mr. Willowby aufgetragen hatte, wußte Bescheid. »Die beiden Ladies besuchen den Ball von Lord und Lady MacAlister, Sir«, sagte er.
»MacAlister?« entfuhr es seinem Herrn. »Ich bin doch mit dem Earl kaum bekannt. Seine Bälle sind das Exklusivste, was die Stadt zu bieten hat. Wie kommen denn die beiden zu einer Einladung?«
Kermin zuckte die Schultern. »Was weiß ich, Master Richard«, sagte er. »Aber warum sollten die Damen nicht zu diesem exklusiven Ball eingeladen werden? Wir sind doch jetzt auch ein vornehmer Haushalt. Haben Sie schon das Empfangszimmer gesehen? Dort stehen neue Möbel. Vom Feinsten sag’ ich Ihnen. Und dann Burley. Haben Sie jemals einen so vornehmen Mann gesehen? Soll bei einem Herzog in Diensten gewesen sein, sagt Mrs. Willowby. Ich kann das kaum glauben. Warum sollte er denn zu uns kommen…«
»Wann haben die Damen das Haus verlassen?« unterbrach ihn Willowby.
Kermin überlegte: »So gegen neunzehn Uhr, würde ich sagen. Die beiden sind zum Dinner vor dem Ball eingeladen, habe ich gehört.«
Willowby konnte es kaum fassen. »Zum Dinner auch?« rief er aus.
»Wie kommt es, daß der Earl of MacAlister zwei Willowbys zum Dinner empfängt? Und warum nur die Damen? Erstreckte sich die Einladung nicht auch auf mich?«
»Natürlich«, bestätigte Kermin. »Hab’s selbst gesehen. Die Karte lag nämlich schon seit Tagen auf dem Silbertablett in der Halle. Sie müßten sie eigentlich bemerkt haben.«
»Habe ich aber nicht«, entgegnete sein Herr schroff. »Ich bin es nicht gewöhnt, daß Einladungen in der Halle liegen. Man hätte es mir sagen können.«
»Sie sind ja so selten zu Hause, Master Richard. Vermutlich hat Mrs. Willowby gedacht, Sie würden für den heutigen Abend etwas Besseres vorhaben.«
»Etwas Besseres als einen Ball bei MacAlister?« rief Richard ungehalten aus. »Zu so einem Ereignis eingeladen zu werden, ist wie ein gesellschaftlicher Aufstieg. Die MacAlisters haben die Willowbys nicht mehr beachtet, seit meine Mutter starb. Rasch, Kermin, lege meinen besten Anzug zurecht. Der Earl of MacAlister wartet.«
Hettys Debüt versprach ein voller Erfolg zu werden. Mrs. Blenchem hatte die Kleider der verstorbenen Lady Willowby in meisterhafter Arbeit für ihre Herrin geändert. Und auch Hetty konnte davon überzeugt werden, drei Roben aus dem reichhaltigen Erbe für sich umarbeiten zu lassen. Catharine hatte ihr dafür versprochen, passende Umhänge, Stiefelchen, Handschuhe und Hüte sowie zwei Tageskleider und das Abendkleid für den von Hetty heiß herbeigesehnten Debütantenball von einer Schneiderin anfertigen zu lassen. Mr. Steantons Geld trug erheblich dazu bei, die Pläne der beiden Damen in die Tat umzusetzen. Auch wenn Catharine beschlossen hatte, die Mittel sparsam auszugeben. Bis sie das Erbe ihres ersten Mannes antreten konnte, würde sicher noch geraume Zeit vergehen. Und wer wußte, ob Richard Willowby in dieser Zeit erneut zu Geld kommen würde? Wahrscheinlicher war, dachte Catharine im stillen, daß er den Großteil seines Anteils am Gewinn wieder auf dem einen oder anderen Spieltisch lassen würde.
An dem Tag, an dem Mr. Steanton das Geld vorbeigebracht hatte, war es zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Schwägerinnen gekommen. Hetty war bei Catharines Unterredung mit Mr. Steanton nicht anwesend, da sie mit Cousin Alfred, der am Vortag in die Hauptstadt zurückgekehrt war, einen Ausritt in den Hyde Park unternommen hatte. Zu mondäner Stunde zwischen sechzehn und siebzehn Uhr war es üblich, daß sich die vornehme Gesellschaft in schnittigen Kutschen oder hoch zu Roß auf der Rotten Row zeigte. Man hielt dann oft an, plauderte von Fahrzeug
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