Hochzeit in St. George (German Edition)
makellosen, in zartes Biskuitgelb gehüllten Beine von sich gestreckt hatte.
»Ich habe mich geärgert, nicht weiter wichtig«, erklärte ihm Hetty, mit um Gelassenheit bemühter Stimme. »Sie wollten mit Richard sprechen?«
»Worüber geärgert?« Der Beau ließ nicht locker.
Hetty vergaß, daß sie sich vorgenommen hatte, sich in der Gegenwart Seiner Lordschaft stets von ihrer besten Seite zu zeigen. Sicher liebte er ruhige, wohlerzogene Frauen, keine aufbrausenden Geschöpfe, die sich nicht scheuten, ihre Meinung nachhaltig kundzutun. Und dennoch, es tat gut, ihrer Empörung Luft zu machen.
»Catharine wünscht, daß ich nach Winchester fahre«, erklärte sie.
»Richard ist bereits seit Tagen auf Wild Rose Manor, und seine Frau ist ihm gestern nachgereist. Nun will sie, daß auch ich…«
»Der gute Richard ist zu Besuch bei seinem Vater?« erkundigte sich Lord Bridgegate ungläubig. »Welch seltenes Ereignis. Ich frage mich… Nein, da kann es schon allein aus zeitlichen Gründen keinen Zusammenhang geben. Mein Vater hat mir nämlich neulich einen Brief geschrieben, der auf Informationen Ihres geschätzten Herrn Papa beruht. Ich verdächtigte Richard kurz, seine Hände im Spiel zu haben. Aber nein, der Verdacht war grundlos. Ihr Vater mußte bereits vor, na sagen wir zehn Tagen seinen mit Bosheiten und Verleumdungen gespickten Brief nach Hastings geschickt haben. Sonst hätte mich Papas Brief nicht schon heute erreicht. Catharine ist auch auf Wild Rose Manor, sagten Sie? Und nun sollen Sie nachreisen. Welch ein nettes Familientreffen. Warum also die Verärgerung?« Nur ein leichter Spott in seiner Stimme verriet, was er in Wahrheit von einem derartigen Treffen hielt.
»Die Saison ist noch nicht zu Ende!« rief Hetty, die den ironischenUnterton nicht bemerkt hatte. »Und überdies will Catharine, daß ich mit der Postkutsche reise!«
»Tatsächlich?« fragte Seine Lordschaft interessiert. »Warum denn das? Als Strafe, weil Sie ungezogen waren?«
»Unsinn!« fuhr Hetty auf. »Ich bin nie ungezogen. Schließlich bin ich kein Schulkind mehr. Ich weiß auch nicht, warum Catharine es so eilig hatte. Jedenfalls ist sie bereits gestern abgereist und hat dazu ihren Wagen genommen. Da Richard mit seinem Fahrzeug unterwegs ist, bleibt mir keine andere Wahl, als auf das öffentliche Verkehrsmittel zurückzugreifen. Obwohl es ganz schrecklich sein wird. Die vielen fremden Menschen, das Gerüttel und Geschüttel, die Gefahren…«
»Sie haben recht«, unterbrach Lord Bridgegate den dramatischen Monolog. »Ich werde Sie nach Winchester bringen.«
»Mit Ihrer Kutsche?« rief Hetty überrascht.
»Womit sonst?« antwortete Seine Lordschaft mit einem gelangweilten Zug um die Mundwinkel. »Dachten Sie, wir gingen zu Fuß?«
»Oh, vielen, vielen Dank«, rief Hetty aus. Während sie sich bei Seiner Lordschaft mit den überschwenglichsten Worten bedankte, überlegte dieser, was er mit seiner spontanen Idee wohl erreichen würde. Daß der Viscount of Willowby nicht erfreut sein dürfte, seine einzige Tochter in seiner Begleitung zu sehen, war sicher. Würde er annehmen, er habe Hetty verführt? Schließlich würden sie auf der Reise einmal in einem Gasthof übernachten müssen. Nun, er hatte nicht vor, Hetty zu verführen, denn sie war nichts weiter als ein verwöhntes kleines, kaum dem Schulzimmer entwachsenes Mädchen. Er würde auch sicherstellen, daß er Hetty nicht kompromittierte. Schließlich wollte er sie nicht heiraten, auch wenn sie sich ihm manchmal beinahe an den Hals warf. Er wollte einzig und allein dem Viscount einen Denkzettel verpassen. Vielleicht würde er dann die unerwünschten Briefe an seinen Vater, den Herzog, einstellen.
»Wir werden nicht viel Gepäck mitnehmen«, hörte er Hetty sagen. Er hatte, ganz in Gedanken, ihrem Wortschwall keine Beachtung geschenkt. »Wer ist wir?« erkundigte er sich daher.
»Na, Mrs. Blenchem, die mich als Anstandsdame begleitet, und ich«, erwiderte Hetty.
Anstandsdame ist gut, dachte der Beau. Damit war die Gefahr, Hetty heiraten zu müssen, gebannt. »Fein«, sagte er schlicht und erhob sich.
»Ich werde jetzt Reisevorbereitungen treffen. Morgen um acht Uhr steht meine Kutsche vor Ihrem Haus bereit. Bitte seien Sie pünktlich. Wir haben einen weiten Weg vor uns.«
So kam es, daß Hetty am nächsten Tag zeitig am Morgen in der gut gefederten, eleganten Kutsche von Lord Bridgegate, in Begleitung des Schwarms aller Damen der Hauptstadt zwischen zwanzig und vierzig
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