Hochzeit in St. George (German Edition)
noch daß sie durch die Nacht im Gasthaus, allein mit dem Beau, kompromittiert wurde.
»Lassen Sie das Pferd in den Stall bringen und ›Stormwind‹ satteln«, befahl er seinem Butler, der ihn ins Haus gelassen hatte.
Mit zwei Schritten auf einmal nahm er die Treppe ins obere Geschoß. »Rasch, Trevis, packe die Satteltaschen. Nur das Nötigste für ein bis zwei Nächte. Wenn ich bis morgen abend nicht zurück bin, dann packe meine Koffer und reise mir nach Winchester nach. Du findest mich auf Wild Rose Manor, dem Landsitz des Viscount of Willowby. Und nun rasch einen frischen Reitanzug.«
Mit diesen Worten zog er an der Klingelschnur, um den Lakaien anzuweisen, ihm eine Erfrischung und Sandwiches zu bringen.
Als Hugh Deverell eine gute halbe Stunde später auf dem frischen Pferd Richtung Süden ritt, waren seine Gedanken bei Hetty. Er wollte nicht glauben, daß sie den Beau wirklich liebte. War sie nicht nur geblendet von seinem, zugegebenermaßen, eindrucksvollen Äußeren? Wie würde sie sein Kommen aufnehmen? Würde sie böse sein, weil er das Tête-à-tête unterbrach? Daß er die beiden finden würde, stand für ihn außer Zweifel. Sicher, die Kutsche hatte einen erheblichen Vorsprung, aber er war zu Pferde und daher in der Lage, ein höheres Tempo anzuschlagen. Dazu kam, daß er querfeldein reiten konnte, während der Beau auf die Landstraßen angewiesen war. Es gab nur wenige Poststationen auf der Strecke, die gut genug waren, um den ältesten Sohn eines Herzogs zu ihren Gästen zählen zu dürfen. Er würde daher nicht lange suchen müssen. Wahrscheinlich würden sie den »Schwan« in Aldershot für ihre Übernachtung wählen.
Hugh sollte recht behalten. Etwa eine Stunde später, bevor der Abend noch gänzlich über die blühende Landschaft von Sussex niedersank, fuhr die schwarze Kutsche Seiner Lordschaft über das holprige Pflaster in den Vorhof des Gasthauses ein. Ein Diener öffnete den Schlag, und der Wirt persönlich kam unter Verbeugungen herbei, um die Herrschaften nach ihren Wünschen zu fragen. Es dauerte nicht lange, da wurden die vornehmen Gäste in drei der besten Zimmer des Hauses geführt, wobei die Räume von Hetty und Mrs. Blenchem durch eine Tür miteinander verbunden waren. Der Beau ordnete an, daß man in einer Stunde in einem Privatsalon zu speisen wünschte. Dann zog man sich zurück, um sich nach den Strapazen des ersten Reisetages frisch zu machen.
Das Dinner verlief in gelöster Atmosphäre. Das Essen, das von der Wirtin selbst zubereitet worden war, schmeckte ausgezeichnet.
Der Wein aus dem gut sortierten Keller war nach Lord Bridgegates Geschmack. Er hatte seine gute Laune wiedergefunden, die ihm während der langen, monotonen Stunden der Reise abhanden gekommen war. Nun unterhielt er die Dame damit, kleine Anekdoten von seiner Reise auf den Kontinent zu erzählen, die er im Jahr zuvor unternommen hatte. Mrs. Blenchem, nicht gewohnt, in so vornehmer Gesellschaft zu speisen, hörte ihm andachtsvoll zu, jedes Wort förmlich in sich aufsaugend. Auch Hetty hing an seinen Lippen, ohne ihn auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Und doch schenkte sie seinen Erzählungen nicht ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Er hat so wundervolle Lippen, schoß es ihr durch den Kopf, weich und wohlgeformt. Wie es wohl sein mochte, wenn dieser Mund sie küßte?
Bisher hatte erst einmal ein Mann versucht, sie zu küssen. Ein Landadliger aus der Nähe von Brighton. So uninteressant, daß sie sogar seinen Namen vergessen hatte. Es war kein berauschendes Erlebnis gewesen. Doch diese Lippen Seiner Lordschaft, dieses kleine spöttische Lächeln, forderten geradezu heraus, geküßt zu werden. Ein leichtes Erröten überzog ihre Wangen bei diesen Gedanken. Seine Lordschaft bemerkte es und stutzte; seine Worte konnten dieses rasche Erröten nicht ausgelöst haben. Denn an der Geschichte, wie zwei Pferde bei einem Rennen lange Zeit Kopf an Kopf lagen, um dann doch von einem Außenseiter geschlagen zu werden, gab es nichts zu erröten.
Was es wohl dachte, dieses kleine Biest? fragte er sich amüsiert. Das sollte er bald erfahren. Denn in diesem Augenblick erhob sich Mrs. Blenchem und erklärte, sie wolle sich frisch machen, bevor das Dessert serviert wurde. Ihr Gesicht war blaß, mit einem Stich ins Grünliche. Das ungewohnte Essen, der schwere Wein zeigten Wirkung.
Hetty erhob sich sofort. »Soll ich Sie begleiten, Mrs. Blenchem?« erkundigte sie sich, über diese Unterbrechung nicht gerade
Weitere Kostenlose Bücher