Hochzeit kommt vor dem Fall
Irgend etwas sagt mir das. Komm, wir machen unsern Anspruch durch einen kleinen Vandalismus geltend, den der erste Regen wegwaschen wird.« Er zückte feierlich einen Bleistift und schrieb auf den Kaminaufsatz: »Talboys, Suam quisque homo rem meminit. Peter Wimsey.« Er reichte den Bleistift seiner Frau, die dazuschrieb: »Harriet Wimsey«, und das Datum darunter.
»Hast du das jetzt zum erstenmal geschrieben?«
»Ja. Sieht ein bißchen krakelig aus, aber das kommt nur daher, daß ich dazu in die Hocke gehen mußte.«
»Macht nichts – das muß trotzdem gefeiert werden. Komm, wir nehmen diese hübsche Bank in Beschlag und betrachten die Landschaft. Der Wagen steht weit genug neben der Straße, falls jemand den Weg heraufkommt.«
Die Bank war solide und bequem. Harriet nahm den Hut ab und setzte sich. Der sanfte Wind strich ihr angenehm durchs Haar. Ihr Blick wanderte ziellos über das sonnenbeschienene Tal. Peter hängte seinen Hut an den ausgestreckten Arm eines Cherubs aus dem achtzehnten Jahrhundert, der damit beschäftigt war, ein flechtenüberwachsenes Buch auf dem Grabstein nebenan zu lesen; dann setzte er sich auf das andere Ende der Bank und betrachtete nachdenklich seine Gefährtin.
Er befand sich in einem Zustand der Verwirrung, in den die Entdeckung des Mordes und das Problem mit Joe Sellon und der Uhr nur noch ein paar ergänzende beunruhigende Faktoren hineingebracht hatten. Diese entließ er aus seinen Gedanken und machte sich daran, das Chaos seiner persönlichen Gefühle auf ein gewisses Maß von Ordnung zu reduzieren.
Er hatte bekommen, was er wollte. Fast sechs Jahre lang hatte er sein ganzes Sinnen stur auf ein einziges Ziel gerichtet. Bis zum Augenblick der Erfüllung hatte er sich nie eine Sekunde Zeit genommen, sich über die eventuellen Konsequenzen seines Sieges Gedanken zu machen. Die letzten beiden Tage hatten ihm auch wenig Zeit zum Nachdenken gelassen. Er wußte nur, daß er vor einer gänzlich fremdartigen Situation stand, die eine ganz ungewöhnliche Wirkung auf sein Gefühlsleben hatte.
Er zwang sich, seine Frau mit Abstand zu betrachten.
Ihr Gesicht hatte Charakter, aber niemand würde auf die Idee kommen, es schön zu nennen, und er hatte doch immer – gedankenlos und herablassend – Schönheit als Grundvoraussetzung verlangt. Sie war langgliedrig und stämmig gebaut und hatte etwas Schlaksiges, Ungezwungenes in ihren Bewegungen, das bei etwas mehr kontrollierter Selbstsicherheit zu Eleganz heranwachsen konnte. Dennoch hätte er Dutzende Frauen nennen – und, wenn er gewollt hätte, haben – können, die in Aussehen und Auftreten weit anmutiger waren. Ihre Sprechstimme war tief und anziehend; aber immerhin hatte er einst den besten lyrischen Sopran Europas sein eigen genannt. Was sonst noch? – Eine Haut so hell wie Honig und einen Verstand von einer merkwürdigen Beharrlichkeit, die den seinen beflügelte. Und doch hatte noch nie eine Frau sein Blut so in Wallung gebracht; sie brauchte ihn nur anzusehen oder mit ihm zu sprechen, und es ging ihm durch Mark und Bein.
Er wußte jetzt, daß sie Leidenschaft mit Leidenschaft vergelten konnte, und zwar mit einem Feuer, das alle Erwartungen überstieg – und mit so einer gewissen verwunderten Dankbarkeit, die ihm mehr verriet, als sie ahnte. Während wohlerzogene Zurückhaltung es ihm verbot, den Namen ihres toten Liebhabers je in ihrer Gegenwart zu erwähnen, konnte er doch nicht umhin, gewisse Phänomene im Lichte seiner großen Erfahrung zu betrachten und diesen unglücklichen jungen Mann im Geiste mit allerlei Ausdrücken zu belegen, von denen »täppischer Lümmel« oder »egoistischer Mops« noch die mildesten waren. Aber das leidenschaftliche Geben und Nehmen von Glück war keine neue Erfahrung für ihn. Neu war nur die ungeheure Wichtigkeit der ganzen Beziehung. Das lag nicht nur daran, daß dieses neue Band nicht ohne Skandal und hohe Kosten und ohne die lästige Einmischung von Juristen wieder gelöst werden konnte, nein, es war vielmehr so, daß ihm zum erstenmal, solange er zurückdenken konnte, wirklich daran lag, welcher Art seine Beziehungen zu einer Frau waren. Er hatte sich immer irgendwie vorgestellt, daß, wenn das Ziel aller Sehnsucht erreicht wäre, Verstand und Seele beieinanderliegen würden wie Löwe und Lamm; aber nichts da! Nun, da er Reichsapfel und Zepter endlich in Händen hielt, fürchtete er sich davor, die Macht zu ergreifen und sein Reich sein eigen zu nennen.
Er erinnerte sich, wie er
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