Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hochzeit kommt vor dem Fall

Hochzeit kommt vor dem Fall

Titel: Hochzeit kommt vor dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
Vom Netzwerk:
ungelöste Geheimnis, das über uns hängt –«
    »Ja«, sagte Peter abwesend. »Nicht sehr schön.«
    Es erschreckte Harriet, als sie seinen Blick sah, kalt und überlegend und immer noch auf die Tür gerichtet, durch die Miss Twitterton hinausgegangen war. Sie dachte an die Luke auf dem Speicher – an die Kisten. Hatte Kirk diese Kisten durchsucht? Wenn nicht – nun, was dann? Konnte etwas in einer dieser Kisten sein? Ein stumpfer Gegenstand, an dem vielleicht ein bißchen Haut und Haare klebten? Es kam ihr so vor, als ob sie alle eine ganze Weile schweigend dagestanden hätten, als Mr. Goodacre, der wieder in stumme Betrachtung seines Kaktus versunken war, plötzlich sagte:
    »Also, das ist aber merkwürdig – wahrhaftig, sehr merkwürdig!«
    Sie sah Peter zusammenzucken, als ob er aus einer Trance erwacht wäre, und das Zimmer durchqueren, um sich die Merkwürdigkeit anzusehen. Der Pfarrer starrte mit zutiefst verwundertem Blick auf das alptraumhäßliche Gewächs über seinem Kopf. Peter starrte ebenso, doch da der Topf eine Handbreit über seinem Kopf hing, konnte er wenig sehen.
    »Sehen Sie sich das an!« sagte Mr. Goodacre mit einer Stimme, die regelrecht zitterte. »Sehen Sie, was das ist?«
    Er kramte in seinen Taschen nach einem Bleistift, mit dem er erregt auf etwas in der Mitte des Kaktus zeigte.
    »Von hier aus«, sagte Peter, indem er zurücktrat, »sieht es aus wie ein Flecken Mehltau, obwohl ich es aus dieser Entfernung nicht so gut sehen kann. Aber vielleicht ist das bei einem Kaktus nur der Schmelz eines gesunden Teints.«
    »Es ist Mehltau«, sagte der Pfarrer erbittert. Harriet, die das Gefühl hatte, daß hier verständige Anteilnahme am Platz war, stieg auf die Bank, um den Kaktus aus gleicher Höhe besichtigen zu können.
    »Es ist noch mehr davon auf der Oberseite der Blätter – falls das Blätter sind und keine Stengel.«
    »Irgend jemand«, sagte Mr. Goodacre, »hat ihm zuviel Wasser gegeben.« Er sah anklagend von Ehemann zu Ehefrau.
    »Von uns hat niemand ihn angerührt«, sagte Harriet. Dann stockte sie, weil ihr einfiel, daß Bunter und Mr. Kirk damit hantiert hatten. Aber sie hatten ihn doch sicher nicht gegossen!
    »Ich bin ein humaner Mensch«, begann Peter, »und wenn ich diese stachligen Biester auch nicht leiden kann –«
    Dann unterbrach auch er sich, und Harriet sah, wie sein Gesichtsausdruck sich veränderte. Es machte ihr Angst. Dieses Gesicht mochte zu dem geängstigten Träumer der Morgenstunden gehören.
    »Was ist los, Peter?«
    Er antwortete, halb im Flüsterton:
    »Wir tanzen um den Stachelbaum, Stachelbaum, Stachelbaum –«
    »Wenn der Sommer erst vorbei ist«, begann der Pfarrer wieder, »darf man nur noch sehr sparsam gießen, wirklich sehr sparsam.«
    »Es kann doch sicher nicht Crutchley gewesen sein«, meinte Harriet, »denn der versteht doch etwas davon.«
    »Ich glaube aber, er war es«, sagte Peter in einem Ton, als ob er von einer langen Reise zu ihnen zurückgekehrt wäre. »Harriet – du hast gehört, wie Crutchley zu Kirk sagte, daß er ihn vorigen Mittwoch gegossen und die Uhr aufgezogen hat, bevor er sich bei Noakes sein Geld abholen ging.«
    »Ja.«
    »Und vorgestern hast du gesehen, wie er ihn wieder gegossen hat.«
    »Natürlich; das haben wir alle gesehen.«
    Mr. Goodacre war entsetzt.
    »Aber liebe Lady Peter, das kann er doch unmöglich getan haben. Der Kaktus ist eine Wüstenpflanze. Sie braucht in der kühleren Jahreszeit nur etwa einmal im Monat gegossen zu werden.«
    Peter schien nur kurz aufgetaucht zu sein, um dieses unbedeutende Rätsel zu lösen, und wandelte jetzt allem Anschein nach wieder auf den Spuren seines Alptraums.
    »Ich kann mich nicht mehr erinnern –« flüsterte er, aber der Pfarrer beachtete ihn nicht.
    »Jemand hat sich in letzter Zeit damit abgegeben«, sagte er. »Wie ich sehe, haben Sie ihn an eine längere Kette gehängt.«
    Peter schnappte so nach Luft, daß es fast wie ein Schluchzen klang.
    »Das ist es! Die Kette! Wir waren alle zusammengekettet.«
    Der gequälte Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht und ließ es leer wie eine Maske zurück. »Was ist mit der Kette, Hochwürden?«

20
Gewußt wie – gewußt wer
    Und hier ein Instrument so wie ichs brauche!
    WILLIAM SHAKESPEARE: DIE BEIDEN VERONESER
     
    Auf dem Höhepunkt der Spannung gestört zu werden war in Talboys so sehr zur Alltäglichkeit geworden, daß es Harriet eigentlich gar nicht überraschte, als auf diese Worte hin, als wären sie

Weitere Kostenlose Bücher