Hoehenfieber
Vorsichtig reichte er ihr einen.
„Ist ein bisschen zu voll geworden. Wollte die Kanne leer machen.“
Quinn trank einen Schluck ab. Heiß war der Kaffee nicht mehr, dafür schwarz und bitter und er weckte ihre Lebensgeister. Sie hatte sich mittlerweile arg schläfrig gefühlt. Obwohl es besser gewesen wäre, die verbleibenden Stunden bis zum Morgengrauen zu schlafen, um mit wachem Geist und ausgeruhtem Körper gegen die weitere Entwicklung gewappnet zu sein, wollte es ihr nicht gelingen. Es war ihr nur recht, dass der Kaffee jetzt half, wach zu bleiben.
„Was sagen deine Kollegen?“
„Nichts Neues. Nash hat eine Runde in der Business Class gedreht.“
„Wie spät ist es?“
„Fast vier.“
„Oh.“ Später, als sie vermutet hatte. Sie saßen seit etwa vierzehn Stunden fest. Es müsste schon bald hell werden. Quinn versuchte sich zu erinnern, um welche Zeit Ende September in Dubai die Sonne aufging. Es dürfte nur noch ein paar Minuten dauern, die ersten Grauschleier würden wahrscheinlich schon die Schatten der Nacht vertreiben, um nur kurz darauf vom glühenden Orangegelb der aufgehenden Sonne abgelöst zu werden. Sie traute sich nicht, die Klappe am Bordfenster hochzuschieben. Auch alle anderen waren geschlossen, nur das Nachtlicht an der Decke erhellte die Kabine schwach.
Nur zu gern hätte sie einen Sonnenstrahl erhascht, dessen Wärme erspürt und ihn eingefangen, um ihn als Hoffnungsschimmer in ihr Innerstes zu bannen. Was würde der neue Tag bringen? Wartete der Tod auf sie? Warum zog sich das Drama so in die Länge?
Vermutlich hielten die Militärs den Erpresser hin. Aber warum? Planten sie, das Flugzeug gewaltsam zu stürmen? Bei solchen Aktionen gefährdeten die Verantwortlichen das Leben der Eingeschlossenen. Sheikh Rashad hätte sie für skrupellos genug gehalten, einen Einsatz dieser Art durchzuziehen. Ihn interessierte das Leben anderer nicht, nur seine eigenen Pläne besaßen Gewicht. Einzig die Anwesenheit der Dubai Defence Force könnte der Grund dafür sein, dass bislang keine Stürmung des Flugzeugs erfolgt war.
Quinn versuchte vergeblich, abzuschätzen, welche der beiden Militäreinheiten über mehr Macht verfügte. In Dubai Stadt sollte das die Dubai Defence Force sein; das Militär des Emirats Abu Dhabi dürfte eigentlich gar nicht hier sein. Nur – wenn die Dubai Defence Force tatsächlich mächtiger wäre, dann hätten sie längst erwirken müssen, dass die anderen abzogen. Offensichtlich herrschte eine Patt-Situation zwischen den Befehlshabern, und nicht einmal der Emir war in der Lage, mit einem Machtwort für den Abzug zu sorgen. Wer wusste, mit welchen Informationen die Regierung und die Öffentlichkeit versorgt worden waren. Wenn die Abu Dhabi Defence Force nach außen nicht als gegnerische Kraft dargestellt wurde, um die wahren Hintergründe der Belagerung zu verschleiern, dann gab es natürlich auch keinen Anlass, für deren Abzug zu sorgen. Vielleicht herrschte die Annahme eines Terroranschlags – das rechtfertige die Anwesenheit beider Militärgruppen als notwendige Schutzmaßnahme.
Quinn trank erneut einen Schluck Kaffee. Das Schweigen lastete auf ihr. Sie sollte sich bei Virgin entschuldigen, dass sie ihn einen Lügner genannt hatte. Es war sein gutes Recht, ihr Persönliches vorzuenthalten und ausweichend zu antworten, wenn sie Grenzen überschritt, die sie nichts angingen. Und machte nicht jeder mal eine unbedachte Äußerung? Deshalb gleich als Lügner bezeichnet zu werden, war ungerecht.
„Es tut mir leid.“
„Es tut mir leid.“
„Was?“
„Was?“
Quinn lachte los und auch über Virges Gesicht zog sich ein breites Grinsen. Der Knoten um ihren Magen lockerte sich, er platzte. Ihr gelang ein befreites Durchatmen. Nur bei Van passierte es schon mal, dass sie haargenau zum selben Moment das Gleiche sagten.
„Schwamm drüber“, sagte sie.
„Bist du müde?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, du?“
„Nein. Vielleicht tut sich da draußen bald etwas.“
„Vielleicht hätte ich doch besser schlafen sollen. Jetzt hab ich’s versaut. Ich kann nicht mehr aufwachen und feststellen, dass es nur ein böser Traum war.“
*
Sadias Lider fühlten sich an, als klebten sie an ihren Augäpfeln. Mühsam versuchte sie, zu blinzeln. Das gedämpfte Licht im Raum half, ihre brennenden Augen zu öffnen. Sie musste sich nicht erst an das Geschehen erinnern. Ihre Flucht aus dem Harem jagte ihr noch immer Schauder über den Körper und die Blessuren
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