Hoehenfieber
Getty hatte er garantiert nie im Leben gehört, geschweige denn, dass er wusste, dass Getty einst ein bedeutender amerikanischer Industrieller und ein geachteter Kunstmäzen gewesen war. Dabei war Getty sogar vom gleichen Fach wie Rashad, weil er nicht weniger als der Gründer der Getty Oil Company war, bis diese von Texaco aufgekauft wurde.
Mit den wichtigsten Geschäftspartnern von Rashads lukrativen Ölgeschäften kannte sich Sadia besser aus als ihr Mann, obwohl sie nur zu seltenen offiziellen Anlässen an seiner Seite stand. Und das auch nur, wenn Empfänge nach westlichem Vorbild im Palazzo gegeben wurden.
„Ich hole frisches Wasser.“
Sadia stöhnte leise. Durch den Schleier ihrer Verbitterung floss ein leichtes Brennen, ließ Tränen aufsteigen. Sie kniff die Augen zusammen.
„Warte.“ Sadia tastete nach Alessas Hand. „Weißt du etwas über Latifa?“
Das Mädchen drückte Sadias Finger. „Es tut mir leid. Fadi hat mir nichts erzählt.“
Ihr war, als drückte eine eiserne Faust ihre Kehle zu. Sadia rang um Atem. Sie musste hier raus. Abrupt schüttelte sie Alessas Hand ab und richtete sich auf.
„Weißt du, ob mein Mann im Haus ist?“
„Es tut mir leid. Nein.“
„Du brauchst dich nicht ständig zu entschuldigen.“
„Soll ich Ihnen ins Bad helfen?“
Sadia nickte. Ihre Füße brannten, als sie die Sohlen auf dem Bettvorleger aufstellte, doch sobald sie kühlen Marmor spürte, ließ der Schmerz nach.
Sie ließ sich von Alessa die restlichen Wunden säubern und die Kleine half ihr auch beim Waschen und holte anschließend frische Kleidung für sie.
„Es tut … leider habe ich keine so schönen Gewänder wie Sie.“ Alessa errötete bis an die Haarspitzen. „Meine Koffer sind noch nicht angekommen. Ich habe nur das hier …“ Sie hielt Sadia zwei Kleidungsstücke hin.
Sadia nahm sie an sich und betrachtete sie. Erst jetzt erkannte sie, dass es sich bei dem einen Teil um eine Hose handelte. Sie stöhnte. „Das kann ich unmöglich anziehen.“
Alessas Gesichtsfarbe wurde noch dunkler. „Ich habe nur noch zwei andere Hosen und ein paar T-Shirts und Blusen. Bis auf die Tunika, die ich trage und das Kleid, das Sie bereits kennen, kann ich leider nichts anbieten.“
Nein, dieses Kleidchen konnte sie auch nicht tragen, damit würde sie sich nackt fühlen. Schwankend schlüpfte Sadia in die Jeanshose. Alessa war etwas kräftiger als sie, schlank, aber mit deutlich weiblicheren Rundungen an den richtigen Stellen. An Sadias Hüften saß der raue Stoff locker.
„Die Hose steht Ihnen gut“, sagte Alessa, die ein paar Schritte zurückgetreten war und sie von der Tür aus betrachtete. „Brauchen Sie noch Hilfe beim Richten der Haare?“
„Nein, danke. Du hast mir sehr geholfen, Alessa. Vielen Dank.“
„Ich warte im Schlafzimmer.“ Das Mädchen zog die Tür hinter sich zu.
Sadia betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Dunke Ringe lagen unter ihren Augen, den tiefen Kratzer an der Wange hatte Alessa mit Salbe bestrichen, die bereits fast vollständig in die Haut eingezogen war. Ihr dunkles, von Natur aus blauschwarzes Haar, das sie an Latifa vererbt hatte, sah aus wie ein vom Sturm gebeuteltes Storchennest. Zwar hatte Alessa bereits Ästchen und Blätter herausgezupft und die Mähne gebürstet, doch von dem üblichen seidigen Schimmer und der makellosen Glätte zeigte sich keine Spur.
Sadia schlang das Haar im Nacken zu einem Knoten und band es mit einem der Haarbänder fest, die sie auf der Waschtischablage fand. Alessa hatte ihr zudem Make-up bereitgestellt, sodass sie ihr ramponiertes Äußeres halbwegs in den Griff bekommen konnte. Sie verzichtete auf Wimperntusche und Kajal. Alessas getönte Gesichtscreme wäre für ihre Haut viel zu hell gewesen und hätte ihre gespenstische Wirkung wahrscheinlich nur auf gruselige Weise untermalt. Mit etwas Puder und Rouge fühlte sie sich besser und fand, dass sie nur noch halb so katastrophal aussah.
Sie betrachtete ihre nackten Füße und trat einen Schritt zur Seite. Auf den hellen Fliesen sah sie kein Blut, also traute sie sich, in die von dem Mädchen bereitgestellten Sandalen zu schlüpfen. Sie waren etwas zu groß, aber sie würde darin gehen können.
Zum Schluss zog sie Alessas leichte, kurzärmlige Bluse über.
Sadia betrachtete sich nochmals im Spiegel, dieses Mal in dem deckenhohen auf der dem Waschtisch gegenüberliegenden Seite.
Zuletzt war sie in ähnlichen Outfits an der Sorbonne Nouvell herumgelaufen.
Als würde mit der
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