Hoehenfieber
Gang stand Virge mit zwei Tabletts in den Händen.
„Zumindest rette ich euch erst einmal vor dem Hungertod.“ Er grinste und stellte die Servierschalen vor ihnen ab. „Danach sehen wir weiter.“
„Was hast du denn da?“ Sie beäugte das Tablett. Gab es tatsächlich noch etwas zu essen an Bord?
„Tee und Kekse.“ Das Lächeln, das er ihr schenkte, stahl sich in Quinns Herz. Für einen Moment wollte Hoffnung die Oberhand ihrer Gefühle erobern, doch dann zog die Furcht wieder die Zügel an. Es war einfach aussichtslos. Sobald der Erpresser sein Ziel erreicht hatte, würden Van und sie in die Hände des Sheikhs fallen.
„Er kann euch gar nicht mehr einfach so verschwinden lassen.“
„Liest du Gedanken?“ Quinns Mundwinkel zuckten unter einem schmalen Lächeln.
„Nein, aber sie stehen in deinem Gesicht geschrieben. Habt ihr mal überlegt, welche Kreise diese Sache zieht? Wenn wir irgendwann aus diesem Flugzeug aussteigen, wird die Welt dabei zusehen. Glaubt ihr ernsthaft, der Scheich könnte zwei schreiende und sich wehrende Frauen übers Flugfeld zerren?“
„Er kann alles“, fuhr Vanita ihn an.
„Aber nicht, wenn es Millionen Fernsehzuschauer gibt.“
„Da draußen ist aber keine Presse, schon gesehen?“ Kaum waren die Worte raus, ärgerte sich Quinn. So biestig hatte sie ihn nicht anfahren wollen.
„Noch nicht. Und selbst wenn das so bleibt, gibt es rund hundertfünfzig Zeugen. Der Plan hätte nur funktioniert, wenn ihr normal ausgestiegen wärt. Wie im Film. Ein vorgetäuschtes kleines Empfangskomitee und dann ab in eine dunkle Limousine …“
„Hörst du das Rumpeln?“, rief Vanita beinahe überschwänglich. „Wir sind einfach zu dämlich. Da hätten wir auch drauf kommen können.“
„Rumpeln?“, fragte Quinn verdattert.
„Die Felsbrocken, die mir vom Herzen fallen. Dein Freund hat vollkommen recht.“
„Dein Freund?“ Jetzt war sie nur noch verwirrt. Zu viele Gedanken auf einmal wirbelten ihr durch den Kopf und ein Gefühl, dass etwas falsch lief …
„Findest du das eigentlich komisch?“, zischte Vanita und sprang auf. „Deine kleinen Witze, die du die ganze Zeit reißt, kannst du dir sparen. Du kennst Sheikh Rashad nicht!“ Sie fixierte Virgin mit wutentbranntem Blick. Ihre Haltung wirkte, als wollte sie ihn im nächsten Moment wie eine Raubkatze anspringen. „Wenn du auch nur einen Schimmer Ahnung hättest, würdest du keine Behauptungen über Dinge aufstellen, die du unmöglich wissen kannst und die sich nicht vorhersehen lassen.“
Quinn war ebenfalls aufgestanden und stellte sich neben Vanita. Einen solchen Gefühlsausbruch hatte sie bei ihrer Freundin noch nie erlebt. Nicht einmal bei der Flucht aus Dubai vor fünf Jahren – aber damals hatten sie sich unter Saids Führung auch sicher gefühlt. Vans Ausbruch war nicht gut. Gar nicht gut. „Van …“
Vanita schüttelte Quinns Hand ab. „Ich bin noch nicht fertig! Seit über dreißig Stunden sitzen wir hier fest und was tut ihr? Euch aufplustern, dass ihr vom FBI seid und die Passagiere Ruhe bewahren sollen. Dabei hängt ihr in der Business Class rum, lasst euch vom Feinsten bedienen und dein Kumpel schläft die halbe Zeit. Als wenn ihr auch nur die Möglichkeit hättet, den kleinen Finger zu rühren. Statt rumzusitzen solltet ihr lieber die Crew und die Passagiere ermutigen, einfach die Türen zu öffnen und auszusteigen.“
„So, meinst du? Und übernimmst du die Verantwortung?“
„Ich … wie soll der Erpresser das überhaupt mitkriegen? Bis der Wind davon bekommt, sind alle längst in Sicherheit.“
„Falsch. Vermutlich hat er irgendwo auf dem Flughafen einen Komplizen. Oder er ist sogar selbst in der Nähe. Willst du das Risiko für hundertneunundvierzig Menschen auf dich nehmen?“
„Warum sucht ihr dann nicht nach den Sprengsätzen und entschärft sie? Warum gebt ihr nicht dem Piloten die Anweisung, einfach abzufliegen? Warum tut ihr nicht irgendwas?“ Vans Schultern zuckten.
Quinn nahm sie in die Arme. „Liebes … schsch… ruhig. Nicht durchdrehen. Hast du das nicht zu Beginn zu mir gesagt?“
Vanita klammerte sich an sie. Ein Weinkrampf schüttelte ihren Körper, der plötzlich zart und zerbrechlich wie hauchdünnes Porzellan wirkte. Van war zwar schüchtern und zurückhaltend gegenüber Männern, wenn es um die Anbahnung zwischenmenschlicher Beziehungen ging, doch ansonsten strahlte sie stets Zuversicht und Stärke aus, hatte ihr immer und immer wieder Rückhalt gegeben,
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