Hoehenfieber
müssen Sie mir weiterhelfen.“ Die junge Frau stoppte an einer Ampel. „Erkennen Sie die Gegend?“
Sadia sah sich um. Ein frostiger Schauder rieselte ihr über die Haut. Sie erkannte nichts. Wie dumm konnte sie sein, dass sie nicht einmal das Anwesen ihrer Familie fand und wusste, wie es in der Umgebung aussah? Neue Gebäude schossen in Dubai wie Pilze aus dem Boden und das Stadtbild veränderte sich schneller als vorbeiziehende Wolken am Himmel.
Sie presste die Fingerspitzen an ihre Schläfen.
„Die Straße ist lang. Ich fahre einfach ein Stück weiter , und wenn wir den Bezirk verlassen, drehen wir um.“
Verbissen musterte Sadia die Gebäude. Irgendwo musste die Einfahrt liegen, die Richtung Strand und zu dem mauerumfassten Villengrundstück ihrer Familie führte.
Irgendwann stoppte Alessa erneut. „Ich fürchte, wir entfernen uns wieder.“
„Es tut mir leid“, brachte Sadia gerade noch heraus. Eine heiße Flut Tränen ergoss sich über ihre Wangen.
Alessa griff nach ihrer Hand und drückte sie. „Wie wäre es, wenn wir einen Taxifahrer suchen und uns eskortieren lassen? Vielleicht kennt er das Anwesen, wenn Sie den Namen Ihrer Familie nennen.“
Sadia zwang sich zur Vernunft. Mit ihrem langen Ärmel trocknete sie sich das Gesicht und atmete tief durch. „Das ist keine gute Idee.“ Sie ergriff das Taschentuch, das Alessa ihr reichte, und rieb sich über ihre müden Augen. „Anhand des Kennzeichens erkennt jeder in der Stadt einen Wagen des Scheichs. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird sich der Taxifahrer ein paar Dirham zusätzlich verdienen wollen und sofort Sheikh Rashad über den Ausflug informieren, sobald er erkennt, dass wir als Frauen allein in seinem Wagen unterwegs sind.“
„Gibt es Probleme für allein reisende Frauen in Dubai?“
„In der Regel nicht, sofern einige Regeln beachtet werden. Für Musliminnen gelten allerdings strengere Vorschriften.“
„Okay. Also dann einen anderen Weg … Wann waren Sie das letzte Mal bei Ihrer Familie?“
Sadia überlegte. Konnte es tatsächlich sein, dass es schon über ein Jahr her war? Nur zu besonderen Familienfeierlichkeiten verließ sie den Palazzo in Begleitung eines Eunuchen als Leibwächter. Der letzte Anlass war die Hochzeit ihrer jüngsten Schwester gewesen, die knapp zwanzig Jahre jünger war als sie und damit fast so alt wie Latifa. „Vor einem Jahr“, stammelte sie, „aber ich kann mich an den Weg nicht erinnern.“
Sie wurde in einer Limousine chauffiert. Zwar hatte sie auf solchen Fahrten stets aus dem Fenster gesehen und mit zehrender Sehnsucht im Herzen die Freiheit um sich herum bewundert, die im Sonnenlicht glitzernden Wolkenkratzer, doch Dubai war eine Großstadt, in der sie sich niemals eigenständig zurechtfinden würde.
Es gab nicht einmal markante Punkte. Ein Hochhaus sah aus wie das nächste.
„Dann gibt es nur einen Weg.“
Sadia warf Alessa einen hoffnungsvollen Blick zu. Der Erfindungsreichtum dieser jungen Frau schien niemals zu versiegen.
„Ist es Ihnen als Frau gestattet, sich von einem Taxi irgendwohin bringen zu lassen?“
Sadia nickte.
„Sadia?“
„Oh. Ja. Was hast du vor, Alessa?“ Sie hatte vollkommen ignoriert, dass Alessa sich auf das Wendemanöver konzentrieren musste und ihre Gesten nicht mitbekam.
Der Verkehr nahm trotz der nächtlichen Stunde zu, je weiter sie sich wieder Jumeirah näherten. Der Großstadtmoloch schlief niemals.
„Ich werde Sie in der Nähe eines Taxistandes aussteigen lassen, Sadia. Sie fragen den Fahrer, ob er das Anwesen Ihrer Familie kennt und falls ja, steigen Sie ein und ich folge dem Fahrzeug.“
Oh gütiger Himmel. Das konnte niemals gut gehen. Die Taxifahrer in Dubai fuhren einen Fahrstil, mit dem eine junge Italienerin niemals zurechtkommen konnte.
„Ich weiß nicht …“, murmelte Sadia, „ob das eine gute Idee ist. Traust du dir zu, mit einem Verkehrsraudi mitzuhalten?“
„Meine Brüder haben mich fahren gelehrt. Wenn Sie die Italiener kennen würden, wüssten sie, was das heißt.“ Alessa lachte leise.
Es gab noch ein weiteres Problem. „Eine Muslimin ist nachts niemals ohne männliche Begleitung unterwegs. Der Fahrer würde umgehend die Polizei rufen. Wir müssen bis zum Morgen warten.“
Alessa sah auf ihre Armbanduhr. „Es ist halb drei. Das würde uns wenigstens vier Stunden kosten.“ Sie steuerte den Wagen an den Straßenrand und stoppte. Dann deutete sie auf ihre Kopfbedeckung. „Muss ich das länger tragen?“
Alessa hatte
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