Hoehenfieber
bereits die Klimaanlage auf frostige Temperaturen eingestellt, doch es war noch immer unerträglich heiß unter dem Stoff. Was ausschließlich daran lag, dass sie westliche Kleidung unter den Mänteln trugen. Die leichten Stoffe der Gewänder, mit denen sich die Frauen normalerweise kleideten, hätten eine angenehme Luftzirkulation zugelassen.
„Das ist die Lösung“, sprudelte es aus Alessa hervor. „Wir tragen westliche Kleidung, nicht wahr? Ist die angemessen genug für ein Auftreten in der Öffentlichkeit?“
„Solange Knie und Schultern bedeckt sind“, antwortete Sadia. Ihre Verblüffung wuchs. Dieses Mädchen kam wirklich auf ungeheuerliche Ideen. Sollte sie es tatsächlich wagen, in der Öffentlichkeit ohne Schleier auf dem Haar und in Hosen …?
„Wenn Sie den Taxifahrer auf Englisch ansprechen und normal gekleidet sind, wird er sie für eine Ausländerin halten. Damit wäre das Problem gelöst, nachts nicht allein unterwegs sein zu dürfen. Das gilt doch wohl nicht für Touristinnen, oder?“
„Ne… nein.“ Heiße Schauder überliefen Sadia. Seit Paris war sie niemals mehr untraditionell gekleidet herumgelaufen. Das lag so lange zurück wie ein fernes, anderes Leben.
„Geben Sie sich einen Ruck. Denken Sie an Ihre Tochter.“
Der Ratschlag gab den Anstoß. Sadia straffte sich. Wie von allein glitten ihre Arme in die Höhe und sie zog die Kopfbedeckung hinunter. Den Mantel ließ sie von den Schultern gleiten, zog ihn unter sich hervor und stopfte die Kleidungsstücke zusammengerollt in den Fußraum hinter ihrem Sitz. Der Stolz auf ihre Entscheidung bescherte ihr neuen Mut.
Auch Alessa hatte Abaya und Hidschab abgelegt und wirkte nun noch entschlussfreudiger. Ihre Ausstrahlung brachte Sonne in Sadias Herz.
„Also los. Einen Taxistand zu finden, dürfte nicht das größte Problem sein, oder?“
„Warum fahren wir dann nicht gemeinsam mit dem Taxi?“, fragte Sadia.
„Mir ist es lieber, einen fahrbaren Untersatz zu behalten. Ich würde den Wagen am liebsten abseits des Anwesens Ihrer Familie parken. Nur für den Fall der Fälle …“
„Ja“, meinte Sadia gedehnt.
Alessa dachte wirklich an alles. Nicht, dass Sadia glaubte, auch vor ihrer Familie fliehen zu müssen. Sie sah ebenso keinen Grund, selbst mobil sein zu müssen, aber besser war besser.
Also gut. Dieses Wagnis würde sie ebenfalls meistern.
Es war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein im Vergleich zu dem, was bereits hinter ihr lag. Und sie war überzeugt, dass ein Taxifahrer in dieser Gegend auch das Anwesen ihrer Familie kannte.
„Falls wir uns verlieren, such bitte die Mall of the Emirates . Park den Wagen und warte am Haupteingang zum Kempinski Hotel. Es liegt im gleichen Komplex. Ich werde jemanden dorthin schicken, solltest du mir abhandenkommen .“
„Okay. Ich denke aber, das wird nicht nötig sein.“ Routiniert fädelte sich Alessa wieder in den Verkehr ein.
Freitag, 30. September, Dubai
„N otruf! Du musst den Notruf wählen!“ Vanitas undeutlich ausgestoßene Worte empfingen Dix, als er abrupt aus seiner Trance auftauchte.
Die Stimme der jungen Frau ging in ein Wimmern über.
Mitfühlend warf er einen Blick zu ihrer Suite hinüber. Offenbar träumte sie schlecht. Immerhin schlief sie, und das war gut so.
Dix richtete sich leise auf. Er hatte sich in der First Class hingelegt, um ebenfalls etwas zur Ruhe zu kommen. In der Business Class erörterten die anderen ständig die Lage, an der sich auch nach fünfundfünfzig Stunden noch nichts geändert hatte.
Bis jetzt! Endlich würde Bewegung in die Sache kommen.
Er hatte es nicht geschafft, abzuschalten. Stattdessen war er wieder in die Funkwellen abgetaucht, obwohl er die Pause dringend nötig gehabt hätte. Mittlerweile schaffte er es, sich binnen Sekunden in Trance zu versetzen und auch genauso schnell wieder daraus aufzutauchen. Vor einiger Zeit, als er seine Fähigkeit noch trainieren musste, hatte er Minuten dazu gebraucht. Das Einzige, was sich nicht verändert hatte, war die Müdigkeit, die ihn anschließend befiel. Dagegen halfen literweise schwarzer Kaffee und Koffeintabletten.
Er stand auf und ging in die Business Class. Seine Schritte schwankten, als hätte er einige Gläser Bier zu viel getrunken.
„Was Neues?“, fragte Nash.
„Eine Menge“, krächzte Dix. Seine Kehle fühlte sich an wie eine ausgedörrte Steppe. Er griff nach einem Röhrchen in seiner Jeans und öffnete es. Drei Tabletten rutschten auf seine
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