Hoehenfieber
Mann auch dieses Mal nicht reagierte, riss ihm sein Sitznachbar kurzerhand den Rucksack aus den Händen.
Quinn atmete auf, als der Mann selbst darauf keine Reaktion zeigte.
„Bitte helfen Sie ihm, die Rettungsweste anzulegen und die Schutzhaltung einzunehmen“, sagte sie zu ihrem Unterstützer , und der nickte. „Danke.“
Nachdem sie ihre drei Sitzreihen noch einmal kontrolliert und den Passagieren ein aufmunterndes Nicken zugeworfen hatte, sank sie auf einen Platz in der unbelegten vordersten Viererreihe und griff unter den Sitz nach ihrer Rettungsweste.
„Zehn Minuten bis zur Landung“, gab Sullivan durch.
Vanita setzte sich neben sie, schnallte sich wortlos an und griff nach Quinns Hand.
Mit zurückgelehntem Kopf und geschlossenen Augen versuchte sie, nicht an das Bevorstehende zu denken. Hieß es nicht, das gesamte Leben würde noch einmal vor dem inneren Auge vorbeiziehen, wenn es auf das Ende zuging?
Quinn sah überhaupt nichts. Sie wusste nicht einmal, was sie dachte.
Gähnte abgrundtiefe Leere in ihrem Geist oder überschlugen sich ihre Gedanken so schnell, dass sie ihnen nicht mehr folgen konnte? Hatte sie Angst? Sie fand keine Antworten, auf nichts. Nur Vanitas Finger gaben ihr die Kraft, nicht in sich zusammenzusacken und in einen Heulkrampf auszubrechen.
Überhaupt war es erstaunlich still in der Kabine. Keine hysterischen Anfälle, kein Schluchzen, nicht einmal ein Husten oder ein Schnaufen drangen zu ihr nach vorn. Nur die leisen Stimmen der Flugbegleiter, die mit den letzten zu versorgenden Passagieren sprachen.
„Fünf Minuten bis zur Landung. Bitte nehmen Sie die Schutzhaltung ein. Legen Sie die Hände ineinander gefaltet an Ihren Hinterkopf und beugen Sie Ihren Oberkörper hinab auf die Knie.“
Warme Finger strichen ihr über die Wange. „Ich bin bei dir.“ Virgin schob sich auf den freien Sitzplatz neben Quinn.
„Die Fahrwerke sind bereits ausgefahren. Alle Komponenten funktionieren einwandfrei. Die Landebahn ist in Sichtweite.“
Quinn presste die Stirn gegen ihre Knie. Sie zitterten. Virgins breite Schulter berührte ihre. „Mama“, flüsterte sie. „Ich hab dich lieb.“
„Flughöhe 150 Meter. Unmittelbar vor dem Aufsetzen unterbreche ich die Kerosinzufuhr zu den Triebwerken.“
„Vater unser, der du bist im Himmel …“ Die unbekannte Stimme, die das Gebet begann, fand Unterstützung. Drei, fünf, zehn Passagiere stimmten ein, manche sprachen das Gebet in einer fremden Sprache. Auch Quinn bewegte die Lippen, doch sie kannte den Wortlaut nicht. Obwohl sie an den Allmächtigen glaubte, hatte sie die Religion von sich abgestreift. Sie war keine Atheistin, aber auch keine Muslimin mehr. Sie fühlte sich einfach nur als Mensch, als gottesgläubiger Mensch, doch frei von Zwängen einer Glaubensrichtung. Daher kamen ihre stummen Worte aus tiefstem Herzen.
„Dreißig Sekunden bis zum Aufsetzen. Ich werde mit einer Vollbremsung versuchen, die Landestrecke drastisch zu verkürzen. Gott , steh uns bei.“
Obwohl sie es zu verhindern suchte, zählte Quinn im Geist die Sekunden rückwärts.
Bei drei durchfuhr ein Ruck das Flugzeug. Kurzes, abgehacktes Stöhnen, durchdringende Schreie, lang gezogene Schluchzer und wilde Flüche schallten durch die Kabine.
Quinns Magen wollte sich verselbstständigen und in Richtung ihrer Füße sacken. Sie schnappte nach Luft. Das Atmen fiel schwer in der zusammengepressten Haltung. Die Fliehkraft riss sie nach vorn, der Gurt schnitt ihr schmerzhaft ins Becken. Unwillkürlich riss sie die Arme hoch, versuchte, sich abzustützen, doch vor ihr befand sich kein Widerstand. Die Trennwand zur Bordküche war zu weit entfernt, um sie mit den Armen zu erreichen.
Der Gurt wollte sie zerreißen. Kräfte, gegen die sie nicht ankam, zerrten an ihr, rüttelten sie auf und ab. Wie in einem Karussell hob es sie vom Sitz, dass die Füße den Bodenkontakt verloren. Eine mörderische Wucht schleuderte sie zurück und presste ihr die Luft aus den Lungen. Panik schlug wie eine Monsterwelle über ihr zusammen. Sie konnte nicht mehr atmen. Verzweifelt versuchte sie, Halt zu finden, sich aufzurichten. Ihr Körper wurde umhergeschüttelt wie eine leblose Stoffpuppe.
Anstatt einzuatmen, entwich ihr der letzte Sauerstoff mit einem Aufschrei.
Der Gurt würde im nächsten Moment ihre Wirbelsäule durchtrennen, so tief glaubte sie , das Material im Unterleib zu spüren. Sie japste, schnappte nach Luft. Ihr gelang ein kurzer Atemzug, ehe ihr Körper erneut
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