Höhenrausch (German Edition)
Ende seines Lebens eher das bereut, was man nicht getan hat, als das, was man getan hat.»
«Eigentlich haben wir noch gar keine richtige Affäre.»
«Das wird schon noch. Sehen Sie bloß zu, dass Sie es rechtzeitig wieder beenden. Nach drei Monaten kommt eine Affäre in die Jahre.»
«AFFÄREN GEHEN SCHNELL VORBEI – WARUM SOLLTEN SIE LANGSAM ANFANGEN?»
Es war ja eigentlich klar, dass es zu genau dem Dialog kommen würde, vor dem in allen Ratgebern zur Beziehungsanbahnung eindringlich gewarnt wird. Ich dachte, ich höre nicht recht, als ich eine Stimme den verbotenen Satz sagen höre: «Wann sehen wir uns wieder?»
Erschrockenes Schweigen.
Dann die zögernde Antwort: «Ich weiß nicht.»
«Nächste Woche? Wann hast du Zeit? Am Montagabend?»
«Könnte sein. Wahrscheinlich schon.»
«Ich komme um acht zu dir. In Ordnung?»
«Okay.»
«Ich kann es kaum erwarten.»
Ich steige die zwei Stockwerke zu meiner Wohnung hoch, als sei ich mit Stilettos an den Füßen geboren worden. Es ist vier Uhr morgens. Um mich besonders unverbindlich zu präsentieren, hatte ich nicht die ganze Nacht bei Johann Berger verbringen wollen.
Ich hatte ihn zur Begrüßung auch nicht auf den Mund geküsst. Nicht nach seiner Frau gefragt. Nicht von Geschlechtskrankheiten und Geschlechtspartnern gesprochen. Nicht gefragt, ob er sich gleich morgen trennen wird, um mich gleich übermorgen zu heiraten. Und nicht gefragt, wann wir uns wieder sehen. Ich hatte mich an die Regeln gehalten.
Aber er nicht.
Es ist kompliziert und eigenartig. Dieser Mann hat sich bei unserer zweiten Verabredung nicht die geringste Mühe gegeben, sich auch nur annähernd der Ratgeberliteratur entsprechend zu benehmen. Er hatte mich bereits im Treppenhaus geküsst, als wir uns Richtung Restaurant aufmachten. Auf den Mund. Was soll man da machen? Da will man ja auch nicht kleinlich sein und sich mit den Worten wegdrehen: «Nicht doch, Herr Berger, Sie könnten sonst den Eindruck erwecken, Sie seien leicht zu haben.»
Auf dem Weg zum Restaurant grübelte ich so intensiv über die Frage, ob ich es angesichts seines Treppenhauskusses wagen könnte, mich bei ihm einzuhaken, ohne als liederliche Schlampe zu gelten, dass ich ganz vergaß, ihm zuzuhören.
«Linda? Ist das ein Ja oder ein Nein?»
«Oh, Entschuldigung. Wie war die Frage?»
«Ob Sie die Nacht mit mir bereut haben?»
«Bisher noch nicht», sagte ich wahrheitsgemäß und griff ohne Rücksichten auf jedes Risiko nach seinem Arm. Wir gingen ein paar Minuten zu Fuß ins «Mao Thai».
Ich hatte extra ein asiatisches Restaurant ausgesucht, weil man da viel essen und somit einen lebenszugewandten und sinnlichen Eindruck vermitteln kann, ohne dass man nachher beim Sex weniger mit dem Sex als mit dem Einziehen des eigenen Bauches beschäftigt ist.
Wir gingen untergehakt durch die Straßen, und das ging gut. Es gibt ja Leute, mit denen man keinen gemeinsamen Rhythmus findet. Der eine macht zu große, der andere zu kleine Schritte, und man trippelt unharmonisch nebeneinanderher und redet sich ein, dass das nichts zu bedeuten habe.
Johann Berger und ich dagegen schwebten im wunderbarsten Gleichschritt durch die Nacht, und ich redete mir ein, dass das was zu bedeuten habe.
Leider begegneten wir nur wenigen Leuten, und ich fühlte mich enttäuscht, als würde ich ein neues Sommerkleid ausführen, und dann ist es zu kalt, um den Mantel auszuziehen.
Johann Berger gefiel mir so ausnehmend gut, dass ich am liebsten jeden Kellner und Zeitungsverkäufer im «Mao Thai» auf den holden Liebreiz meines Begleiters hingewiesen hätte.
Waren dem Gast am Nebentisch womöglich seine Augen entgangen? Sie waren blau mit schwarzen Pünktchen darin! Ich meine, auf so was muss man die Menschheit doch aufmerksam machen.
Und die winzige Kellnerin, hatte sie sein Haar genug gewürdigt? Es war dunkelblond, dick und mit exakt den leichten Wellen drin, die sich jeder Mensch wünscht, dessen fisselige Haare ohne Umwege direkt von a nach b wachsen.
Und dann erst seine Hände! Also ehrlich, da kannst du Eintritt verlangen, wenn du solche Hände hast.
Johann ist dieser norddeutsche Typ Mann, wie er vermehrt in dunkelblauen Rollkragenpullovern auf Segelschiffen in Filmen vorkommt, in denen man auf Anhieb erkennen soll, wer der Gute ist. Natürlich gab ich mir alle Mühe, meine Hingerissenheit nicht zu zeigen. Ich fragte mich dann aber doch, warum ich mich den ganzen Abend an Regeln hielt, die diesem Mann nicht einmal bekannt zu
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