Höhenrausch (German Edition)
mir angewöhnt, mein Handy mit auf die Toilette zu nehmen. Nur für den Fall. Als Geliebte eines zeitlich sehr eingespannten Mannes ist es wichtig, rund um die Uhr erreichbar zu sein.
Seit fünf Tagen habe ich nichts mehr von Johann Berger gehört. Kein Anruf, keine SMS, nichts.
«Überleg doch mal logisch», versucht Erdal mich zu beruhigen, «wenn dein Johann mit seiner Frau auf Reisen ist, kann er sich unmöglich bei dir melden.»
«Quatsch! Hat der Mann etwa keine Verdauung? Der könnte sein Handy doch genauso wie ich mit aufs Klo nehmen.»
«Das ist nicht jedermanns Sache.»
«Was weißt du denn, was jedermanns Sache ist?»
«Linda, ich verstehe deine Situation, aber lass deine Laune bitte nicht an mir aus. Und reiß dich zusammen, wenn du mir bei der Veranstaltung in Hamburg hilfst. Lieber eine Hilfskraft zu wenig als eine mit schlechter Laune, sag ich immer. Ich schlage übrigens vor, dass du schon am Donnerstag nach Hamburg kommst. Meine Mutter ist zu Besuch, und wir haben ein tolles Nachmittagsprogramm für dich vorbereitet. Das wird dich sicher ablenken.»
«Was plant ihr?»
«Lass dich überraschen.»
«WER EINEN FESTEN FREUND HAT, BRAUCHT KEINE FESTEN OBERSCHENKEL»
Ich war vor zehn Jahren zum ersten und bis dahin letzten Mal in Hamburg. Die Stadt war genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Die herrschaftlichen Villen an der Außenalster waren so weiß wie die Zähne von Denzel Washington und gaben mir das Gefühl, dass die Stadt wesentlich besser aussieht als ich.
Das lag auch daran, dass ich an Johann-freien Tagen wie heute meine Klamotten aus der Ära «Wer einen festen Freund hat, braucht keine festen Oberschenkel» auftrug.
Umso froher war ich, dass Erdal in einem augenschmerzend hässlichen Gelbklinkerbau wohnte. Im Erdgeschoss war eine Videothek, der Blick ging auf eine Aral-Tankstelle. Ich würde mich als Straße ja ärgern, wenn ich wohlklingend «Hoheluftchaussee» heiße und dann bloß eine sechsspurige Ausfallstraße bin, mit zwei Busspuren in der Mitte und etlichen Getränkemärkten rechts und links. Wie bei Donatella Versace: Ein toller Name, der höchste Erwartungen weckt, und dann sieht die Frau aus, als würde sie einen Billigpuff im Gewerbegebiet von Mühlheim an der Ruhr betreiben. Nee, da hätte ich doch lieber einen langweiligen Namen und sehe super aus – wie Claudia Schiffer und Heidi Klum. Oder ich habe einen normalen Namen und sehe auch normal aus – wie Angela Merkel und Linda Schumann.
Erdal ließ mir kaum Zeit, mich in seiner Wohnung umzuschauen. Nur ins Bad durfte ich schnell. Ich erschrak fürchterlich, als die Toilette nach Benutzung anfing, sich selbst zu desinfizieren.
«Jetzt komm schon», rief Erdal. «Wir treffen meine Mutter im evangelischen Gemeindehaus.»
«Erdi, bitte, die anderen behalten doch auch ihre Schuhe an!»
«Sei still, Mama, das hier sind rahmengenähte Budapester. Hast du eine Ahnung, was die wiegen? Das würde das Ergebnis total verfälschen.»
«Lassen Sie ihn nur», schaltete sich die Gruppenleiterin ein. «Wir hatten hier schon Leute, die sich vorher ihre dritten Zähne rausgenommen haben, um das Resultat zu schönen.»
Erdal stellte sich ohne seine Schuhe auf die Waage und flüsterte der Gruppenleiterin zu, man möge bitte sein Gewicht keinesfalls öffentlich verkünden.
Renate Küppers-Gökmen war blendender Stimmung. «Bravo!», dieselte sie, als eine Dame von der Waage stieg und verkündete, sie habe in einer Woche zwei Kilo abgenommen.
Erdal wurde zusehends übellauniger.
«Ich dachte, hier sind nur Dicke. Endlich wollte ich mir mal wieder so richtig schlank vorkommen – und jetzt so was!»
Ja, ich hatte mir ein wöchentliches Mitgliedertreffen der «Weight Watchers» auch anders vorgestellt.
Nachdem ich begriffen hatte, wo ich hier reingeraten war, machte ich mich auf neidische Blicke und missgünstiges Getuschel gefasst. Heimlich hoffte ich sogar, man würde mich des Raumes verweisen, um die Mitglieder nicht mit meiner überirdischen Schlankheit zu demotivieren. Aber die Gruppenleiterin war so freundlich zu mir, dass es an Frechheit grenzte.
Neben mir saß eine Bohnenstange – ein «Goldmitglied», wie ich erfuhr –, die ihr Wunschgewicht bereits sechs Wochen hielt.
«Ich habe in acht Monaten dreizehn Kilo abgenommen», prahlte sie, und alle klatschten begeistert. Bis auf Erdal. Der tat so, als suche er etwas in seiner Manteltasche.
Er blühte erst wieder auf, als die Neuen Gelegenheit bekamen, ihre Ziele
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