Höhenrausch (German Edition)
zu formulieren. Ein Herr zwei Reihen vor uns klagte, er könne seine Zehennägel schon seit längerem nicht mehr sehen. Woraufhin die Frau neben ihm, offensichtlich seine eigene, brummte, dass er da allerdings auch nicht viel verpassen würde.
«Ich möchte fünfzehn Kilo abnehmen», gestand eine mopsige junge Dame. «Denn ich wiege jetzt wieder so viel wie kurz vor der Geburt meiner Tochter.»
«Und was wird es diesmal?», rief Erdals Mutter, die offenbar nicht richtig aufgepasst hatte.
Hinterher aßen wir zu dritt in einem Steakhaus an der Hoheluftchaussee.
«Ich finde es sehr beeindruckend, was die ‹Weight Watchers› mit ihrem Programm erreichen», sagte Erdal. «Es ist doch immer wieder erstaunlich, was man mit ein wenig Disziplin so alles bewirken kann. Mama, reichst du mir nochmal die Pommes?»
«Wie entwickelt sich denn Ihre Affäre, Linda? Erdi sagte, Sie hätten sich beim letzten Mal etwas zu weit vorgewagt.»
«Sie hat ihn gefragt, ob er nächste Woche mit ihr ins Kino geht.»
«Aber Erdi, das ist doch nun wirklich kein Skandal.»
«Doch. Er hat nein gesagt.»
«Ich hatte bei meinen Affären den Vorteil, dass ich selbst auch verheiratet war. Nur mit Erdals Vater war ich leider nicht lange genug zusammen, um ihn betrügen zu können. Es ist grundsätzlich günstiger, wenn zwei Verheiratete eine Affäre miteinander haben und beide ihre Ehen nicht gefährden wollen. Dann hat man gleich viel zu verlieren, und jeder sorgt dafür, dass die Sache nicht auffliegt.
Ein Betrug muss diskret und professionell ausgeführt werden. Ich habe zum Beispiel nie schlecht über meine Ehemänner geredet und jeden Geliebten rausgeschmissen, der sich bei mir über seine Frau ausheulen wollte. Das hat keinen Stil.»
«Aber Mama, Linda hat keine Ahnung, wie man eine Affäre professionell managt. Sie hat sich Hals über Kopf in den Kerl verliebt. Sie nimmt ihr Handy mit aufs Klo, geht mit ihrer Mülltüte spazieren, macht Muskelaufbautraining und hat Hunderte Euro in Unterwäsche investiert. Die Beweise sind eindeutig.»
«Nicht unbedingt, Erdi. Wir bilden uns gern ein, genau das haben zu wollen, was wir nicht haben können. Und manchmal ist es schwer zu unterscheiden, ob man in einen Mann verliebt ist oder in das Gefühl, verliebt zu sein. Für Letzteres bietet sich ein verheirateter Mann hervorragend an.
Der trinkt mit dir Champagner, während sich die Ehefrau um seine Wäsche kümmert. Hummer bei dir, Leberwurst zu Hause. Mit dir fährt er nach Positano, mit ihr in den Schwarzwald. Dich nennt er ‹Chérie›, zu ihr sagt er ‹Schatzi›. Zu dir kommt er in Hemden, die sie gebügelt hat.
Linda, wollen Sie wirklich diejenige sein, die seine zwanzig Paar schwarze Socken sortiert? Wollen Sie neben ihm im Bad stehen, während er sich die borstigen Haare aus den Ohren zupft? Oder noch schlimmer: sie nicht mehr zupft? Wollen Sie wirklich, dass er der Mann wird, den Sie als Nächsten betrügen werden?
Ich sage immer: Lieber Sehnsucht statt Überdruss! Erinnern Sie sich, was die ‹Weight Watchers› vorhin gepredigt haben: Glück durch Verzicht und Erfüllung durch kluge Portionierung. Der Geliebte und die Tafel Schokolade sind beide nichts für jeden Tag.»
Ich versuchte eine Zusammenfassung:
«Eine Affäre funktioniert also genau so wie eine Diät? Entweder ich darf essen, was ich will, aber nicht wann ich will. Oder ich esse, wann ich will, aber nicht, soviel ich will. Das Resultat ist in beiden Fällen dasselbe: Meistens hat man Hunger!»
«Sie haben es erfasst, Linda. Ich bestelle für uns jetzt noch dreimal heiße Himbeeren mit Vanilleeis und Sahne, und dann lassen Sie uns anstoßen mit dem Schlachtruf der ‹Weight Watchers›: ‹Nichts schmeckt so gut, wie schlank sein sich anfühlt!›»
Ich sah aus wie alle, bloß in alt. Jeder, der für Erdals «Food. com» arbeitete, trug den gleichen schwarzen Anzug, dazu ein weißes T-Shirt mit dem Firmennamen.
Erdal wirkte äußerst nervös.
«Also, Leute, wir haben es heute Abend mit fünfundsiebzig Gästen zu tun. Gefeiert wird der fünfzigste Geburtstag des Firmenchefs. Ab zwanzig Uhr gibt es Cocktails und asiatisches Finger Food.
Eine Stunde später starten wir das Buffet. Ulf übernimmt mit seiner Truppe das Live-Sushi-Rolling, Jenny kümmert sich mit ihren Mädchen um die Crêpes-Station und den Schokoladenspringbrunnen.
Damit es alle wissen: Wir haben drei Anfängerinnen im Team – Linda, Nele und Lilly. Ihr drei interessiert euch ausschließlich
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