Höhenrausch (German Edition)
gehe lieber früh ins Bett, als einen schlechten Film im Fernsehen zu Ende zu gucken. Langweilen tue ich mich nur noch mit mir selbst. Daran merke ich, dass ich älter geworden bin.
Die ersten Gäste kamen. Weil es draußen schüttete und viele Damen Pelz trugen, miefte es bei den Garderobenständern bald wie in einem Käfig mit nassen, jüngst verstorbenen Kaninchen.
Die Frau des Gastgebers, eine gewisse Felicitas von der Rieke, winkte Erdal zu sich heran und beschwerte sich mit gehirnzersägender Stimme, dass man den Extrastuhl für Gwendolin vergessen habe. Gwendolin war ihr Pekinese.
Ein paar Minuten später wurde ich auf dem Klo Zeuge, wie Felicitas von der Rieke aus einer der Kabinen kam und – auf mich deutend – zu einer Dame am Waschbecken sagte: «Was waren das bloß für schöne Zeiten, als es noch Extratoiletten für das Personal gab.»
Sie warf mir einen geringschätzigen Blick zu und wandte sich Richtung Ausgang. Und da sah ich das Malheur. Ein Teil ihres eigentlich wadenlangen Rocks endete kurz über ihrem Po. Anscheinend hatte sich der Rock in ihrem Schlüpfer verfangen, was leicht passieren kann, wenn man sich in engen Toilettenkabinen hastig wieder anzieht.
Nach einer Millisekunde Schadenfreude beschloss ich, sie darauf aufmerksam zu machen, da ich selbst schon in ähnlich peinlichen Situationen gesteckt hatte. Mit kaltem Grausen erinnerte ich mich an eine Hochzeit, bei der ich, von mir unbemerkt, eine Rolle Klopapier hinter mir hergeschleppt hatte. So was gönnt man niemandem.
«Verzeihung, Frau von der Rieke», sagte ich frauensolidarisch, «ich fürchte, Sie haben aus Versehen den Saum Ihres Rocks in Ihre Unterhose gesteckt. Das ist mir auch schon häufig passiert.»
«Was?»
Sie hastete zum Spiegel und überprüfte ihren rückwärtigen Anblick.
«Sie Idiotin!», herrschte sie mich bebend vor Wut an. «Das muss so sitzen. Aber wie soll eine Serviererin auch wissen, dass radikale Asymmetrie in diesem Jahr der Trend auf allen Schauen ist!»
Zu einer offiziellen Entschuldigung gab mir Frau von der Rieke keine Gelegenheit. Sie rauschte grußlos hinaus. Hinter mir kicherte jemand.
«Was für eine aufgeblasene Ziege! Machen Sie sich nichts draus. Die liebe Felicitas kann hier eh keiner leiden – nicht mal ihr Mann.»
Dankbar betrachtete ich die Frau am Waschbecken. Ich schätzte sie auf Anfang vierzig. Sie hatte kurze blonde Haare und freundliche Lachfältchen um die Augen. Was sie im Spiegel sah, schien ihr nicht zu gefallen.
«Seit der Geburt meines Sohnes sehe ich aus, als sei ich immer noch schwanger.»
«Das wird sich doch in ein paar Monaten von selber erledigen», sagte ich aufmunternd.
«Der Junge wird nächste Woche fünf», erwiderte sie lachend. Wie sympathisch, genau die Sorte Frau, mit der man herrlich auf der Toilette über andere Leute herziehen kann. Ich wusch mir extra lang die Hände, um noch nicht wieder rauszumüssen.
«Was meinten Sie damit, dass nicht mal der eigene Mann Frau von der Rieke leiden kann?»
«Der liebe Sebastian hat schon seit vier Jahren ein Verhältnis mit einer blutjungen Zahnarzthelferin. Heute Abend treffen die beiden Frauen erstmals aufeinander.»
«Weiß Frau von der Rieke von der Geliebten?»
«Ja. Deshalb ist sie heute noch unausstehlicher als sonst.»
«Wieso lässt sie sich das Verhalten ihres Mannes gefallen?»
«Sie will ihn nicht verlieren. Und schon gar nicht die Villa am Falkensteiner Ufer und das Reetdachhaus in Kampen.»
«Drängt die Geliebte denn nicht auf Scheidung?»
«Selbstverständlich tut sie das, aber der liebe Sebastian will seine Häuser auch nicht verlieren. Um den finanziellen Folgen einer Scheidung zu entgehen, machen beide gute Miene zum bösen Spiel. Nur die Zahnarzthelferin macht heute Abend den Eindruck, sie sei auf Krawall gebürstet. Nachdem sie die Ehefrau leibhaftig gesehen hat, kann sie wahrscheinlich noch viel weniger verstehen, warum sie ewig die Nummer zwei bleiben soll. Zu vorgerückter Stunde könnte es da durchaus noch zu einem kleinen Skandal kommen.»
Vier Jahre ging das schon zwischen den beiden! Mir wurde ganz mulmig zumute. Was hatte Andreas gesagt? «Eine Weile musst du noch durchhalten.» Konnte es sich dabei um Jahre handeln?
Würde ich mit vierzig immer noch mit Shampoo in den Augen aus der Dusche springen, bloß weil das Handy klingelt und er es sein könnte? Würde ich mit vierzig immer noch alle drei Tage nicht ans Handy gehen, um nicht allzu verfügbar zu
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