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Höhenrausch (German Edition)

Höhenrausch (German Edition)

Titel: Höhenrausch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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hätte er nun wirklich auch mich nehmen können.
    Hätte ich ihm doch bloß geantwortet! Ich hätte ihn haben können. Die lahmarschige «Schmusekatze» ist doch nur die zweite Wahl. Mir hat er schließlich zuerst geschrieben! Mir, «Paprika», der «feurigen Neu-Berlinerin mit viel Witz und großem Herzen».
    Hätte er doch nur ein Foto mitgeschickt. Dann wäre ich jetzt so gut wie auf dem Weg zum Traualtar. Ach, wäre ich doch bloß nicht so oberflächlich. Ich muss bei Gelegenheit an meinem Charakter arbeiten.
    Aber jetzt brauche ich erst mal Trost. Ich habe Heimweh, und entweder packe ich jetzt sofort meine Koffer und scheuche Andreas aus meinem trauten Nest oder – ja, ich denke, die Situation verlangt nach Radikalität. In der allergrößten Not, wenn gar nichts mehr geht, hilft nur noch: Ikea!
    Nirgends fühle ich mich geborgener, getrösteter, so eins mit der Schöpfung wie an diesem Ort, der überall auf der Welt gleich aussieht. Kaum gehe ich an den ersten Säcken mit Teelichtern vorbei und an «Klippan», dem Sofa, das an einen unvollendeten Sarg erinnert, schon fühle ich mich zu Hause, und alles Leid fällt von mir ab.
    Hier ist nicht Berlin, hier ist nicht Großstadt. Hier ist überall. Nichts ist beeindruckend, nichts besonders schön und außer dem Hocker «Ture» für neun Euro auch nichts wirklich hässlich. Nichts ist besser, als man es sich für sich selbst vorstellen kann. Sogar das Kind auf dem Ikea-Katalog könnte selbst gezeugt sein.
    Alles ist reell, vernünftig, erschwinglich. Wie Baumwollunterhosen: unsexy, aber alltagstauglicher als Seiden-Strings, die keine lauwarme Handwäsche überleben. Ikea ist wie die «Heiße Tasse» von Unox: günstig und selbst gemacht – na ja, irgendwie selbst gemacht.
    Hier muss man sich nicht behaupten, hier sind alle gleich. Sobald du auf dem geblümten Sofa «Ektorp» probesitzt, gehörst du zur Familie, bist einer von uns, machst niemandem mehr Angst.
    Wohlwollend betrachte ich meine Familienangehörigen: Ein Teenager entscheidet sich für «Todd», die Tonne mit Deckel. Ein Dicker lässt sich auf die Sitzinsel «Pösig» fallen. Eine alte Frau trägt das Bettwäsche-Set «Bibbi Snurr» zur Kasse. Heute und hier: alles meine Freunde! Wir haben doch alle früher im «Billy»-Regal irgendwas versteckt, was wir damals noch für unanständig hielten.
    Ein junger Vater mit seinem Sohn an der Hand streicht zärtlich über eine Rückenlehne, als handele es sich um den inneren Oberschenkel von Scarlett Johansson. Ja, auch ich habe einst «Tormelilla» geliebt. Mein erstes Sofa. Auf dem ich meinen ersten Freund betrog, mein erstes Gedicht schrieb und meinen letzten orangenhautfreien Verkehr hatte.
    Gute Bekannte, alte Freunde in jeder Abteilung: «Ingo», die Vitrine, «Antonius», die Aufbewahrungsserie, und «Billy» natürlich, immer wieder «Billy». Früher habe ich manchmal geträumt, dass ich berühmt werde und noch zu meinen Lebzeiten eine Straße oder eine Rose nach mir benannt wird. Inzwischen bin ich bescheidener. Gäbe es bei Ikea einen Wäschesack «Linda», würde mir das vollkommen reichen.
    Mit leichtem Herzen, zwei Beuteln Teelichte und einem Geschirrabtropfständer aus Holz stehe ich schließlich an der Kasse.
    Jetzt noch eine Runde «Köttbullar»-Hackbällchen, und ich bin der zufriedenste Mensch der Welt.
     
    Abends hat sich die lindernde Wirkung der «Köttbullar» leider bereits verflüchtigt. Ich beginne, die Menschen durchzutelefonieren, die ich in Berlin kenne. Drei davon sind übers Wochenende weg, Nummer vier kenne ich eigentlich gar nicht. Ich rufe trotzdem an, denn die tragische Erfahrung mit «Nuklearsprengkopf» hatte mich gelehrt, Unbekannten gegenüber aufgeschlossener zu werden.
     
    «Hallo, spreche ich mit Spilz?»
    «Ja. Und wer bist du?»
    «Ich heiße Linda und wohne vorübergehend in der Wohnung von Andreas.»
    «Okay, dann weiß ich, wer du bist. Wie geht’s dir?»
    «Nicht so gut. Deswegen rufe ich auch an. Andreas meinte, wenn ich mal Ablenkung brauche, soll ich mich bei dir melden. Du seist auf jeder Party eingeladen und kämst in jeden Club rein.»
    «Kein Problem. Wir treffen uns am späteren Abend auf der ‹Bread & Butter›-Party. Wir haben noch zwei Privatpartys am Start, und später wollen wir noch ins ‹Week End›, die ‹Panorama Bar› und das ‹White Trash›. Du wirst dich schon nicht langweilen.»
    «Fein. Eine Frage noch. Was meinst du mit: ‹Wir treffen uns am späteren Abend›?»
    «Also vor halb

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