Höhenrausch (German Edition)
wirken?
Würde ich mit vierzig immer noch die Andere sein, die geheimnisvolle und Furcht einflößende Andere? Die niemandem Furcht einflößt, die nicht geheimnisvoll ist, sondern einfach nur diskret verschwiegen und bemitleidet wird?
Würde ich mit vierzig immer noch beinahe ersticken an den vielen Forderungen und Vorwürfen, die ich nie ausgesprochen habe?
Oder würde ich mit vierzig ein Psychowrack mit strähnigem Haar und wirren Augen sein, wie man es aus «Eine verhängnisvolle Affäre» oder «Match Point» kennt? Beides mein seelisches Gleichgewicht belastendes Filmmaterial, bei dem die anfangs betörende und unkomplizierte Geliebte unbequem wird und daraufhin gewaltsam zu Tode kommt.
Ich denke, mit Affären ist es wie mit Partys: Du musst den richtigen Moment abpassen, um zu verschwinden. Gehst du zu früh, verpasst du vielleicht das Beste. Gehst du aber zu spät, endest du im Morgengrauen mit schauerlichen Gestalten an der Bar und wirst nie wieder eingeladen.
«Ich kenne mich in diesen Kreisen ja nicht aus», sagte ich, «aber könnten Sie sich vorstellen, vier Jahre lang darauf zu warten, dass Ihr Liebhaber Sie heiratet?»
«Ich würde keine vier Sekunden warten. Und ich würde meinen Mann keine vier Sekunden mit einer anderen teilen! Sind Sie denn verheiratet?»
«Nein.»
«Wohnen Sie in Hamburg?»
«Nein. Prenzlauer Berg.»
Wenn man sein Leben lang in einer Kleinstadt gewohnt hat, die kaum einer kennt, ist es schon ein erhebendes Gefühl, wenn man nur den eigenen Stadtteil nennen muss, und die Leute wissen Bescheid.
«Das ist ja lustig. Mein Mann wohnt zurzeit auch dort, weil er die Fusion von zwei Konzernen betreut. Sie müssen ihn kennen lernen. Er hat keine Freunde in Berlin und hockt deshalb jeden Abend mit Heimweh in seiner Firmenwohnung. Vielleicht könnten Sie mal zusammen ins Kino gehen. Das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Kommen Sie doch nach dem Essen zu uns an den Tisch. Wir heißen Berger, Friederike und Johann Berger.»
Man sah mich sieben Minuten später hastig, mit verstörtem Blick und hochgeklapptem Mantelkragen das Gebäude verlassen.
«MR. PRESIDENT, WE DO HAVE A SITUATION HERE!»
Als ich zwei Tage später mit Erdal über den Abend sprach, hatte ich mich noch immer nicht von dem Schock erholt.
Meine Gefühle hatten keine Erfahrung mit einer derartigen Situation. Erdal dagegen platzte förmlich vor Glück, bei einem derartigen Drama praktisch live dabei gewesen zu sein.
Nachdem ich ihn per SMS über den Grund meiner Flucht informiert hatte, war Erdal mit Feuereifer dabei gewesen, das Ehepaar Berger zu observieren.
«Es tut mir sehr Leid, Linda, aber an der Frau gibt es nichts rumzumeckern. Sie ist eine von uns.»
Wie taktlos! Ich finde, nur weil man die Wahrheit kennt, ist das noch lange kein Grund, sie auch zu sagen.
«Die beiden sind bis zwei geblieben», fuhr Erdal schonungslos fort, «und nicht mal die größte Übelkrähe könnte behaupten, dass sie sich angeschwiegen hätten oder verzankt wirkten. So Leid es mir tut, dir das offen sagen zu müssen: Es gibt keine sichtbaren Hinweise auf eine fortschreitende Zerrüttung der Ehegemeinschaft.»
«Vielleicht haben sich die beiden einfach nur gut im Griff – so wie das Gastgeberehepaar», schlug ich niedergeschlagen vor.
«Linda, Liebes, ich wollte es dir ja eigentlich unter keinen Umständen sagen, aber du musst wissen, wo du stehst: Sie hat ihn mit ihrem Nachtisch gefüttert.»
Ich war am Boden zerstört.
«Du tust gerade so, als hättest du nicht gewusst, dass er verheiratet ist», schrieb mir Andreas wenig feinfühlig. Der hat eben keine Ahnung, dass es was ganz anderes ist, wenn man zum Feindbild das Gesicht geliefert bekommt. Noch dazu, wenn dieses Gesicht so gar nicht zu dem Feindbild passen will. Da ist man doch auf der Stelle um seinen Seelenfrieden gebracht. Was man nicht sieht, kann man eben viel besser verdrängen. Selbstbetrug funktioniert nur, wenn man im richtigen Moment wegschaut und sich den Fakten verschließt.
Wenn ich zum Beispiel nachts nach Hause komme und vermuten muss, dass es unglaublich spät geworden ist und ich morgen unglaublich müde sein werde, dann schaue ich vor dem Zu-Bett-Gehen einfach nicht mehr auf die Uhr. Ich sage mir, es sei wahrscheinlich erst kurz nach zwölf. Und wenn ich sehr betrunken bin, dann glaube ich mir das sogar und schlafe zufrieden ein.
Daher steige ich auch nicht auf die Waage, wenn ich ahne, dass mir das Ergebnis nicht gefallen wird, und frage
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