Höhenrausch (German Edition)
Kopf gelandet.
Ich wusste gar nicht, dass Filz wieder modern ist. Ich dachte, daraus würden nur noch Plättchen gemacht, die man unter Stuhlbeine klebt, damit das Parkett nicht zerkratzt.
«Schreibst du auch gerade ein Drehbuch?», schreit Spilz mir ins Ohr.
«Nein. Wieso?»
«Weil ich heute Abend nur Leuten begegne, die entweder gerade ihr erstes Drehbuch schreiben, ein Independent-Magazin entwickeln wollen oder freie Künstler sind.»
«Ich bin freie Übersetzerin.»
«Wow! Ein echter Beruf, mit dem man sogar Geld verdient. Ich gratuliere.»
Einen Moment lang frage ich mich, ob ich mich schämen soll.
«Sieh dich hier um, Linda, die meisten dieser Leute sagen sich, dass Kunst die edelste Form der Arbeitslosigkeit ist.»
Spilz hat mal mit Andreas zusammengewohnt und ist heute einer seiner besten Freunde. Seinen Spitznamen verdankt er seiner ersten Freundin, die sich im Überschwang ihrer Gefühle nicht zwischen zwei Kosenamen entscheiden konnte und sich verhaspelte. So wurde «Spatz» und «Liebling» zu «Spilz».
«Sag mal, Linda, wovon willst du dich heute Abend eigentlich so dringend ablenken?»
«Ich habe die Ehefrau des Mannes kennen gelernt, in den ich mich verliebt habe.»
«Ja wie geil ist das denn, bitte! Du hast deinen Geliebten mit dessen Frau erwischt? Das ist ja mal ganz was anderes. Bei Andreas ist es ja eher klassisch gelaufen.»
«Was meinst du mit ‹klassisch›?»
«Er hat rausgekriegt, dass seine Freundin was mit einem anderen Typen hatte. Die war so verpeilt, dass sie ihm eine SMS geschickt hat, die für den anderen bestimmt war – der Klassiker eben. Andreas hat die Frau daraufhin sofort in den Orbit geschossen und ist eine Woche später in dieses Dorf abgehauen, wo du herkommst und dessen Name mir nie einfällt.»
«Jülich ist eine Kleinstadt mit 33 500 Einwohnern.»
Andreas hat sofort Schluss gemacht? Kein Wunder, dass er beim Thema Betrug und den jüngsten Entwicklungen meines Liebeslebens so zurückhaltend reagiert. Auch nicht erstaunlich, dass er mir wie ein Moralapostel vorgekommen war. Und irgendwie verständlich und sogar ziemlich rücksichtsvoll von ihm, dass er mir die Umstände seiner Trennung erspart hatte.
Gleichzeitig frage ich mich, ob es in diesem Land überhaupt noch einen einzigen treuen Menschen gibt. Außer mir. Oder ist man selbst automatisch untreu, wenn man sich mit einem Ehebrecher einlässt? Ich glaube nicht. Ich gehe davon aus, dass man immer nur seinen eigenen Partner betrügen kann.
«Handys sind der Fluch jeder Beziehung», sagt Spilz. «Ich würde gerne mal wissen, wie viele Beziehungen pro Woche an SMS zugrunde gehen, die von unbefugten Augen gelesen werden. Ich habe gelesen, dass in Deutschland täglich eine Milliarde SMS verfasst werden, die meisten und längsten von Frauen.»
Das wundert mich ja nun überhaupt nicht. Und ich wette, die Hälfte der SMS von Frauen besteht aus Sätzen wie: «Hast du meine SMS bekommen?», «Warum meldest du dich nicht?», «Ist das dein Ernst? Lass uns bitte nochmal reden!» oder «Ich rufe dich jetzt gleich mal an.»
Meine Theorie ist, dass man Männern durch das Short-Message-System fahrlässig eine Möglichkeit gegeben hat, sich noch kürzer zu fassen, als sie es ohnehin schon immer getan haben. Zudem lässt sich dank SMS Gesprächen, Diskussionen und bohrenden Nachfragen ganz prima aus dem Weg gehen. SMS – ich denke, ich gehe nicht zu weit, das zu sagen – haben zur Zementierung schlechter männlicher Eigenschaften beigetragen.
Es gibt noch nicht einmal ein ordentliches Wort für SMS. Das finde ich persönlich ja schon verdächtig. Ich frage mich wirklich, warum sich niemand die Mühe macht, sich mal konzentriert einen Nachmittag hinzusetzen und einen guten Namen zu finden.
Stattdessen stehen wir da mit der komplett beknackten Bezeichnung «simsen» für etwas, was alle ständig tun, für etwas, was viel Leid über die Menschheit gebracht hat und insbesondere zwischen den Geschlechtern für mehr Katastrophen gesorgt hat als die Erfindung der «Sportschau».
Ich finde ja, dass das Verschicken von Kurznachrichten zwischen Männern und Frauen grundsätzlich verboten werden sollte. Man muss es ganz deutlich sagen: Kommunikation ist der Störfaktor Nummer eins in Beziehungen. Ich würde sogar so weit gehen, Männern und Frauen das Reden komplett zu untersagen, denn wenn man ehrlich ist, geht es unangemessen oft schief.
Frauen könnten das, worüber sie reden wollen, der Einfachheit halber gleich
Weitere Kostenlose Bücher