Hoehepunkte der Antike
Heeresteil in die Stadt, genauso wie die Makedonen, die Alexander auf Urlaub nach Hause geschickt hatte. Mit Letzteren traf
auch noch ein Heeresnachschub ein. Während seines Aufenthaltes in Gordion erhielt Alexander schlechte Neuigkeiten: Memnon
von Rhodos wurde immer mehr zu seinem gefährlichsten Gegner. Nachdem Alexander seine Flotte aufgelöst hatte, sah Memnon wohl
seine Chance gekommen, den Krieg, den er auf dem Land nicht mehr hoffte gewinnen zu können, aufs Meer zu verlagern. Die persisch-phönizische
Flotte konnte unter seinem Kommando |82| große Erfolge in der Ägäis erringen und zahlreiche Inseln und Städte auf seine Seite bringen. Im Osten brachte inzwischen
der persische Großkönig ein riesiges Heer zusammen und zog dem Eindringling entgegen. Der saß nun zwischen zwei Fronten im
anatolischen Hochland und konnte nur hoffen, dass die von ihm befreiten Küstenstädte treu blieben und nicht doch die persische
Flotte einlaufen lassen würden. Dieser Hintergrund wirft wieder ein etwas anderes Licht auf die Episode um den Gordischen
Knoten.
Gesetzt den Fall, dass zumindest die Geschichte vom Wagen wahr ist und Alexander zum Tempel hinaufstieg, um ihn zu betrachten
und um Zeus zu opfern – was würde ihm selbst und seinen Truppen ein Zeichen gegeben haben, dass ihr Feldzug erfolgreich sein
würde? Ein Orakelspruch, der demjenigen die Herrschaft über Asien verspräche, der den Gordischen Knoten löste! Wie auch immer
es zu dieser Prophezeiung gekommen war oder wer dahinter steckte, die Geschichte war genau das, was Alexander in dieser Situation
brauchte. Es war nicht nur ein Signal an sein Heer, sondern auch an die Phryger – stellte er sich damit doch in die Nachfolge
ihrer uralten Könige und legitimierte seine Herrschaft ähnlich wie in Karien.
Wie er den Knoten löste und ob er schließlich selbst daran glaubte, können wir nicht entscheiden. Geschadet hat ihm die Episode
aber nicht, sie hat ihm ganz im Gegenteil sogar noch einen Platz in unserem Sprichwörterschatz gesichert – und offenbar nicht
nur dort. Mittlerweile hat der Gordische Knoten ein Eigenleben entwickelt, das mitunter schon sehr merkwürdig anmutet. Wenn
man heutzutage Versionen begegnet, in denen Gordios oder die Götter selbst den Knoten um Joch und Deichsel gewunden haben,
so ist das bei weitem nichts Ungewöhnliches, verändern sich doch gerade solche Geschichten im Lauf der Zeit. Aber der Knoten
trieb noch seltsamere Blüten: Wenn sich mehrere Menschen zusammenfinden, die Augen schließen, aufeinander zu gehen und versuchen,
die Hände irgendeines Gegenübers zu fassen und das Ganze in einem wirren Menschenhändeknäuel endet, das eine bis dahin unbeteiligte
Person aufzulösen hat, so nennt man auch das einen Gordischen Knoten – wahlweise als Kennenlern- oder Kinderspiel im Internet
zu finden. Allerdings gibt es auch ernsthaftere Ansätze: So haben vor ein paar Jahren der polnische Physiker Piotr Pieranski
und der Schweizer Biologe Andrzej Stasiak versucht, den antiken Gordischen |83| Knoten per Computersimulation zu rekonstruieren. Sie gingen davon aus, dass Alexander zur Schwertlösung griff, weil keine
freien Enden am Knoten zu sehen gewesen waren, mit deren Hilfe er ihn hätte lösen können. Das hatten ja auch die Quellen ausdrücklich
hervorgehoben. Ihrer Ansicht nach seien also zuerst die freien Enden miteinander verbunden worden und dann erst hätte man
aus der nun entstandenen Schlaufe einen um sich selbst gewundenen Knoten geschaffen. Versuche zeigten aber, dass solche Knoten
immer noch zu lösen seien. Legt man jedoch ein Seil vorher in Flüssigkeit ein und trocknet es sofort nach der Verknotung,
dann verändert es seine Dicke. Das speziell für die Lösung derartiger Knoten von den beiden Wissenschaftlern entwickelte Computerprogramm
versagte schließlich in einem Fall. Möglicherweise hätte dieser ,unlösbare‘ Knoten die Struktur besessen, die auch der Gordische
gehabt habe. Gerade diese letzten Beispiele verdeutlichen, dass die Legende von der Unlösbarkeit eines Knotens bis heute nichts
von ihrer Faszination verloren hat, weder im Alltag noch in der Wissenschaft.
Von all diesen Entwicklungen konnte Alexander natürlich nichts ahnen, als er im Frühjahr 333 v. Chr. Gordion verließ, um seinem
Schicksal entgegenzueilen – hatte es ihm doch durch den Gordischen Knoten die Herrschaft über Asien versprochen. In den folgenden
zehn Jahren setzte
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